Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
2009 oder die Kernschmelze im Kernkraftwerk in Fukushima, die am 11. März 2011 begann. In der dichten Abfolge dieser Ereignisse kommt wirtschaftlichen Vorgängen eine bemerkenswerte Bedeutung zu. Seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 wird immer wieder der Vergleich mit der großen Weltwirtschaftskrisedes Jahres 1929 herangezogen, in deren Folge die Welt durch die Machtübertragung auf die Nationalsozialisten in Deutschland einer politischen Erschütterung ohnegleichen ausgesetzt war.
Die Erfahrung, dass wirtschaftliche Verwerfungen schwere politische Katastrophen zur Folge haben können, verleiht der Frage nach der ethischen Verantwortung für wirtschaftliche Entwicklungen besonderen Nachdruck. Angesichts solcher möglichen Folgen sind wirtschaftliche Entscheidungen nicht nur an ihren kurzfristigen, sondern auch an ihren langfristigen Auswirkungen zu messen. Vor diesem Hintergrund soll zunächst die Entstehung des neuen Interesses an wirtschaftsethischen Fragen beleuchtet werden.
Ein wirtschaftsethischer Neuansatz
Weltweit hat die Erschütterung darüber, welche politischen Auswirkungen sich aus einer Wirtschaftskrise ergeben konnten, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach zu einem neuen wirtschaftsethischen Nachdenken geführt. In Deutschland bündelten sich die entsprechenden Überlegungen im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Dieses Konzept speiste sich vor allem aus drei Quellen: der nationalökonomischen Schule des Ordoliberalismus, der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik.
Der Ordoliberalismus, wie er sich in der Freiburger Schule um Walter Eucken ausprägte, beruht auf der Verbindung zwischen marktwirtschaftlicher Ordnung und staatlicher Rahmensetzung. Eucken sah den Staat in der Verantwortung für eine funktionierende Wettbewerbsordnung, die das Entstehen wirtschaftlicher Machtkartelle verhindert. Unter dem Einfluss von Alfred Müller-Armack, der den Begriff der «Sozialen Marktwirtschaft» prägte, trat die sozialpolitische Rolle des Staates in der Absicherung der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie in der Verantwortung für die sozialen Sicherungssysteme hinzu. In der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft verbinden sich nach dieser Konzeption wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit, funktionierender Wettbewerb und soziale Sicherheit miteinander. Für Freiheit als Grundlage dieser Ordnung sprachen die Ordoliberalen sich nicht nur deshalb aus, weil sie den Marktmechanismus für das überlegene wirtschaftlicheSteuerungsinstrument hielten; sie erkannten vielmehr dem Prinzip der Freiheit den ethischen Vorrang vor anderen Prinzipien zu. Müller-Armack wies in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, «dass das letzte Kriterium für eine Wirtschaftsordnung auch im Geistigen ruht und nicht im Wirtschaftlichen allein» (Müller-Armack 1990: 71). Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft sieht die Wirtschaft daher nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel an, das der Erfüllung ethisch definierter Aufgaben dient.
Die katholische Soziallehre antwortete auf die neuen Herausforderungen des Industriezeitalters aus der Perspektive des christlichen Menschenbilds und einer naturrechtlich geprägten Vorstellung von der gesellschaftlichen Ordnung. Für sie ist die zum Bild Gottes geschaffene Person in soziale Ordnungsstrukturen eingebunden und damit dem Gemeinwohl verpflichtet. Im Gefüge der Gesellschaft erkennt das Prinzip der Subsidiarität den kleineren Gemeinschaften einen Vorrang vor den größeren zu; die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität verpflichten dazu, Lasten sozial zu verteilen und die großen Existenzrisiken gemeinsam zu tragen. Auf dieser Grundlage würdigt die katholische Soziallehre die relative Autonomie der einzelnen Lebensbereiche und deshalb auch die spezielle Zuständigkeit der auf sie bezogenen Wissenschaften bei der Suche nach angemessenen Problemlösungen. Doch sie beharrt im Blick auf solche Lösungen auf dem Vorrang von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität (Marx/Küppers 2008).
Die evangelische Sozialethik brachte in die Debatte über die richtige Wirtschaftsordnung neben der (lutherisch geprägten) Option für einen starken Staat insbesondere das Prinzip der verantworteten Freiheit ein. Das lässt sich exemplarisch an einem Dokument des evangelisch geprägten Widerstands, nämlich der sogenannten «Freiburger Denkschrift» von 1942, verdeutlichen, die auf Anregung Dietrich Bonhoeffers von einem
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