Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Kreis um die Nationalökonomen Eucken, von Dietze und Lampe verfasst wurde. Sie formulierte entscheidende Bausteine des Konzepts, dem Adolf Müller-Armack später den Namen Soziale Marktwirtschaft gab. Unzweideutig sprach sie aus, dass der Gebrauch individueller Freiheit vor Gott und den Menschen zu verantworten ist. Verantwortete Freiheit hat die persönliche Lebensführung und damit auch das persönliche Verhalten in der Wirtschaft zu bestimmen, das sich im christlichen Verständnis an der Liebe zu Gott orientiert. Sie hat aber auch die institutionelleOrdnung der Wirtschaft zu prägen. Ausdrücklich wird vor einer Vergötzung irdischer Güter und Mächte gewarnt. Es geht darum, die einzelnen Menschen in ihrer moralischen wie gesundheitlichen Integrität zu achten sowie die menschlichen Gemeinschaften auch dadurch zu fördern, dass Einzelne über wirtschaftliche Güter verantwortlich verfügen können.
An diese protestantischen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft schließt sich die Denkschrift an, in der die Evangelische Kirche in Deutschland 2008 «Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive» beschreibt. Die ethische Bedeutung unternehmerischen Handelns wird darin gesehen, dass Menschen ihre Begabungen, ihre Kreativität und ihre Einsatzbereitschaft in den Dienst des Gemeinwohls stellen; die dadurch ausgelöste wirtschaftliche Dynamik ist ethisch wertvoll, weil und sofern sie den gesellschaftlichen Wohlstand insgesamt fördert. Freiheit in Verantwortung ist der Leitgedanke, unter dem die Zusammengehörigkeit von Unternehmertum und Sozialer Marktwirtschaft dargestellt wird.
Die innere Verbindung zwischen den Gehalten der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik haben die beiden Kirchen in Deutschland nach sorgfältiger Vorbereitung durch einen gemeinsamen Konsultationsprozess im Jahr 1997 mit einem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage unterstrichen. Programmatisch stellten sie diese Äußerung unter die Überschrift: «Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit» (Deutsche Bischofskonferenz/EKD 1997). Seitdem haben sich krisenhafte Entwicklungen so verschärft, dass weiterführende ethische Überlegungen nötig sind.
Der Zweck der Wirtschaft
Die deutsche Nachkriegsdebatte ging vom Vorrang des Menschen aus, dessen Bedürfnisse durch wirtschaftliche Tätigkeit befriedigt werden sollen. Der Zweck der Wirtschaft wurde nicht im Erzielen von Gewinnen als solchen gesehen. Er lag nach dieser Auffassung vielmehr in der Herstellung von lebensdienlichen Produkten und Dienstleistungen. Ein weiterer Zweck der Wirtschaft betraf die Schaffung von sinnerfüllten und auskömmlichen Arbeitsplätzen; Betriebsverfassung, Mitbestimmungund Tarifautonomie sollten für angemessene Arbeitsbedingungen und zufriedenstellende Arbeitseinkommen sorgen. Der soziale Friede galt als wichtige Antriebskraft für wirtschaftlichen Fortschritt und gesellschaftlichen Wohlstand. Die Ertragskraft des einzelnen Unternehmens und der wirtschaftliche Profit für Eigentümer oder Anteilseigner waren diesen Wirtschaftszwecken zugeordnet.
Seit der Freigabe der Devisenwechselkurse zu Beginn der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts veränderten sich die Vorstellungen über den Sinn wirtschaftlichen Handelns. Diese Entwicklung mündete in die Behauptung, wirtschaftliches Handeln habe seinen Zweck allein darin, die Erwartungen der Anteilseigner zu befriedigen. Der Wert eines Unternehmens wurde infolgedessen nur noch am
shareholder value
gemessen (Rappaport 1999). Die Interessen der anderen
stakeholder
traten in den Hintergrund. Die Selbstbezüglichkeit des Wirtschaftsprozesses wurde programmatisch in der Aussage zusammengefasst, die soziale Verantwortung der Wirtschaftstätigkeit bestehe in der Steigerung der Profite (Friedman 1970). In dieser Aussage liegt der Kern des neoliberalen Projekts. Es erklärt die ausschließliche Orientierung am Profit zur entscheidenden und unerlässlichen Grundlage einer freien Gesellschaft; jeder weiter gefassten Vorstellung von sozialer Verantwortung wird dagegen Kollektivismus unterstellt. Zu erfolgreicher Unternehmensführung gehört es dieser Konzeption zufolge, sich von Unternehmensteilen zu trennen, die den
shareholder value
senken. Neue Unternehmensteile sollen nicht in erster Linie zur Produktpalette des Unternehmens passen und dessen Markenkern stärken, sondern den Ertrag für die Anteilseigner erhöhen. Oft setzten Unternehmen dadurch ihre gewachsene Identität
Weitere Kostenlose Bücher