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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Volumen der Erwerbsarbeit in vielen Bereichen zurückgegangen. Längere Ausbildungszeiten und früherer Ruhestand, Erziehungszeiten und Sabbatregelungen, die Ausdehnung des Urlaubsanspruchs und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit haben zu einer Verschiebung zwischen der Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeitsformen geführt. Inzwischen wird die Lebensarbeitszeit angesichts des demographischen Wandels in moderaten Schritten verlängert; auch eine Verlängerung der Jahres- oder der Wochenarbeitszeit tritt in den Blick. Dennoch wächst der Anteil der Lebenszeit, der nicht der Erwerbsarbeit gewidmet ist.
    Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den verschiedenen menschlichen Tätigkeitsformen. Vor allem das bürgerschaftliche Engagement ist zu würdigen, das ich im Folgenden als Freiwilligenarbeit bezeichne (vgl. Gensicke/Geiss 2010; Vieregge 2011). Die Übernahme von Verantwortung in Politik und Zivilgesellschaft, ehrenamtliche Tätigkeit in Kirchen, Sport und Kultur, Freiwilligendienste im Sozialwesen, im Umweltschutz oder im Entwicklungsdienst haben in vielen Ländern eine große Bedeutung. In Deutschland ist Freiwilligenarbeit für ein Drittel der Bevölkerung nachgewiesen; bei einem weiteren Drittel gibt es durch die Mitgliedschaft in Vereinen und Verbänden Anknüpfungspunkte für eine aktive Beteiligung. Für einen beachtlichen Bevölkerungsanteil ist Freiwilligenarbeit also relevant, und es wäre vollkommen illusorisch, alle diese Aufgaben in Erwerbstätigkeit zu überführen (vgl. Gensicke/Geiss 2010).
    Auch Hausarbeit, Familienarbeit und Eigenarbeit sind als eigenständigeForm menschlichen Tätigseins anzuerkennen (vgl. Peuckert 2008). Über lange Zeit wurde dieser Bereich als Schattenarbeit angesehen; immer wieder wurde er als Reproduktionsarbeit bezeichnet. In scheinbar arglosem Anschluss an den von Karl Marx verwendeten Begriff der «Reproduktion der Arbeitskraft» wurden darin alle Arbeiten zusammengefasst, die «dem Erhalt der individuellen Arbeitsfähigkeit und zur Sicherung der Erhaltung der Arbeitsbevölkerung dienen» (Wirtschaftslexikon24.net s. v. Reproduktionsarbeit). Die arbeitsfreie Zeit wurde damit auf ihren Charakter als Reproduktionszeit reduziert und Familienarbeit nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass dadurch die künftig notwendige Arbeitsbevölkerung reproduziert wird. Das wird weder einer ethisch reflektierten Verhältnisbestimmung von Arbeit und Muße noch dem Eigenwert derjenigen Arbeit gerecht, die der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, der Pflege von Partnerschaft und Freundschaft oder der Fürsorge für kranke und alte Familienmitglieder gewidmet ist. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Alleinlebenden, die vor allem in der Form der Eigenarbeit für sich selbst sorgen. Für all das ist der Begriff der «Reproduktionsarbeit» vollkommen ungeeignet. Ich schlage deshalb vor, diesen Bereich unter dem Begriff der «Familien- und Eigenarbeit» zusammenzufassen. In ihm sind die Hausarbeit in Familien und Ein-Personen-Haushalten ebenso enthalten wie die vielfältigen Tätigkeiten von Erziehung,
care
und Beziehungsarbeit (vgl. Kapitel 2).
    Wenn neben der Erwerbsarbeit auch die Freiwilligenarbeit sowie die Familien- und Eigenarbeit als gleich wichtige Formen menschlichen Tätigseins anerkannt werden, kann dies nicht ohne Folgen für den Begriff der Arbeit und für die Arbeitsethik bleiben. Finden sich in den ethischen Traditionen Ansatzpunkte für eine solche Revision?
Stationen der Arbeitsethik
    Der Weg bis zur vorbehaltlosen Anerkennung der menschlichen Arbeit war lang (vgl. Huber 2007). Ihr haftet der Charakter der Entsagung und des Mühevollen an. Die griechische Antike ordnet das herstellende Handeln der Sphäre der Notwendigkeit zu, während die Freiheit sich im sozialen Handeln, in der Praxis entfaltet. Das herstellende Handeln – vomLandbau bis zum künstlerischen Schaffen – bildet deshalb die niedrigste Stufe menschlicher Tätigkeiten. Freiheit kann sich nur dort entfalten, wo Menschen von Zwängen frei sind: im Genuss, im Dienst der Polis und in der Hingabe an die Philosophie. Diese Einschätzung der Arbeit wird auch in das römische Denken übernommen; es unterscheidet zwischen den
artes sordidi
, den niedrigen Tätigkeiten, und den
artes liberales
, den freien und edlen Künsten.
    Das jüdisch-christliche Arbeitsverständnis betrachtet menschliche Arbeit als Teilhabe an Gottes Schöpferwerk. Die von Gott geschaffene Erde «zu bebauen und zu

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