Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
aufs Spiel – bisweilen mit zerstörerischen Auswirkungen auf den Unternehmenswert.
Eine solche Entwicklung lässt sich nicht mit der «schöpferischen Zerstörung» gleichsetzen, die nach Josef Schumpeters Auffassung den Kapitalismus charakterisiert (vgl. Schumpeter 1972: 134). Wenn mit der Verbreitung des Autos die Absatzchancen für Pferdekarren zum Erliegen kommen, handelt es sich um eine andere Art «schöpferischer Zerstörung», als wenn ein Unternehmen durch die ausschließliche Orientierung am
shareholder value
seine Identität einbüßt.
Deshalb führten die Krisenentwicklungen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts zu einer wachsenden Kritik an einer einseitigen Profitorientierung.Die Interessen aller Anspruchsberechtigten traten wieder stärker in den Blick, und die soziale Verantwortung wurde wieder gewürdigt. Nach wie vor darf der Profit nicht den einzigen Zweck wirtschaftlichen Handelns bilden; er ist vielmehr Mittel und Indikator erfolgreicher wirtschaftlicher Tätigkeit. Diese muss auf die Bereitstellung lebensdienlicher Produkte und Dienstleistungen gerichtet sein; es bleibt zugleich eine zentrale Aufgabe der Wirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten, durch die Menschen Zugang zu einer befriedigenden und auskömmlichen Arbeit haben (vgl. Kapitel 11).
Ebenen der Verantwortung
Ein Einverständnis über die wichtigsten Zwecke wirtschaftlichen Handelns ist jedoch alles andere als selbstverständlich. In wirtschaftsethischen Fragen prallen vielmehr konträre Auffassungen aufeinander. Wer in einer globalisierten Wirtschaftswelt erreichen will, dass das Gemeinwohl eine wichtige Richtschnur des Handelns bleibt, muss in den wirtschaftsethischen Kontroversen Position beziehen. Ist es aber überhaupt möglich, die Ethik zur Richtschnur wirtschaftlichen Handelns zu machen?
Ein verbreiteter Einwand besagt, dass eine Orientierung an ethischen Maßstäben nur vom Einzelnen erwartet werden könne. Um sein Handeln gehe es jedoch in der Wirtschaft nicht, denn sie bilde ein nach eigenen Gesetzen funktionierendes System. Wenn für das Funktionieren des Systems Veränderungen erforderlich seien, könnten sie nicht von den Einzelnen erwartet werden, sondern die Rahmenbedingungen des Systems müssten sich ändern (Homann 2007: 10ff.). Die mit der gesellschaftlichen Differenzierung verbundene Logik zeigt sich nach dieser Betrachtungsweise nirgendwo so deutlich wie in der Wirtschaft (vgl. Luhmann 1988; Suchanek 2007). Moralische Appelle an das individuelle Verhalten sind in solchen Zusammenhängen kontraproduktiv, denn sie bringen Nachteile für das betreffende Unternehmen mit sich, ändern aber nichts an der Gesamtlage. Wer sich solchen moralischen Anforderungen entzieht, gerät in die Situation des
moral hazard
. Gemeint ist die Versuchung, den Vorteil zu nutzen, der sich aus der Bindung anderer an moralische Maßstäbe ergibt.
Die Idee des
moral hazard
stammt ursprünglich aus der Versicherungswirtschaft. Der Abschluss einer Versicherung kann den Versicherten dazu veranlassen,leichtfertiger mit Gefahren umzugehen. Gleichgültiger Umgang mit Gesundheitsrisiken kann durch die Erwartung gefördert werden, dass die Kosten von der Versicherung getragen werden. Auch wirtschaftliche Krisen und politische Interventionen sind durch das Dilemma des
moral hazard
geprägt. Finanzmarktakteure werden risikofreudiger, wenn sie damit rechnen können, dass ein anderer das Risiko trägt (vgl. Krugman 2008). Wenn der Zusammenbruch von Unternehmen oder Staaten ihrer Größe wegen nicht hingenommen werden kann
(too big to fail)
, kalkulieren die Verantwortlichen damit, dass sie im Krisenfall die nötige Unterstützung finden. Eine andere Form des
moral hazard
liegt schließlich vor, wenn einzelne Akteure durch die Verletzung rechtlicher oder moralischer Regeln einen Wettbewerbsvorteil erlangen, etwa durch das Ausbeuten von Arbeitskräften in Billiglohnländern oder das Einwerben von Aufträgen durch Bestechung.
Das Argument des
moral hazard
veranlasst manche Wirtschaftsethiker dazu, die Anwendung moralischer Maßstäbe auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte für einen Kategorienfehler zu halten (Pies 2009). Die Probleme der politischen Rahmenregelung, so sagen sie, haben mit der ethischen Orientierung des Einzelnen nichts zu tun. Doch hier liegt eine abstrakte Entgegensetzung zwischen dem Einzelnen und dem System zugrunde. Die strukturellen Bedingungen eines Wirtschaftssystems ändern nichts daran, dass Menschen in ihm
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