Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
gestellt. Da wir Menschen nicht nur einen Körper haben, sondern unser Körper sind, gilt für die postmortale Organspende wie für die Lebendspende: Menschliche Organe sind keine Handelsware, die mit Geld aufzuwiegen sind. Sie haben teil an der Würde des Menschen, die unveräußerlich und deshalb auch unverkäuflich ist. Deshalb kann die Bereitschaft zur Spende aus freien Stücken nicht durch eine Pflicht abgelöst werden, die eigenen Organe zur Verfügung zu stellen, um das Leben eines anderen zu retten. Die Bereitschaft zum freiwilligen Einsatz prägt auch in anderen Zusammenhängen den Weg, den unsere Gesellschaft geht. An die Stelle des Zivildienstes treten Freiwilligendienste; die allgemeine Wehrpflicht wurde ausgesetzt. Nur solange Freiwilligkeit die Grundlage bildet, behält das Wort «Organspende» einen klaren Sinn. Wer dagegen eine Pflicht festlegen will, muss von einer «Organbereitstellungspflicht» undnicht etwa von einer «Pflicht zur Organspende» sprechen, denn «Pflicht» und «Spende» schließen einander aus. Der Unterschied zwischen der Steuerpflicht und einer finanziellen Spende zeigt das klar.
Die entscheidende Aufgabe besteht darin, bei voller Wahrung der Selbstbestimmung die Entscheidung zur Organspende in der Bevölkerung besser zu verankern und dadurch den Anteil derer, die ihre Bereitschaft zur Organspende dokumentieren, deutlich zu erhöhen. Deshalb wurde im deutschen Recht die Zustimmungslösung um eine Entscheidungskomponente verstärkt. Die Verankerung der Organspende in der Selbstbestimmung wie im freiwilligen Eintreten für den Mitmenschen würde dagegen aufgelöst, wenn die Zustimmungslösung durch eine Widerspruchslösung ersetzt würde, nach der jedem postmortal Organe entnommen werden können, der seinen Widerspruch dagegen nicht ausdrücklich dokumentiert hat. Ethisch betrachtet ist es der richtige Weg, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auf ausreichende Anlässe stößt, eine eigenständige Entscheidung zu diesem Thema zu treffen und diese Entscheidung zu dokumentieren. Doch aus dem Entscheidungsanlass darf kein Entscheidungsdruck werden. Auch wer trotz eingehender Information die Entscheidung aufschiebt, hat dazu ein gutes Recht. Dennoch bleibt festzuhalten: Wenn jede krankenversicherte Person über 16 Jahre wiederholt mit der Aufforderung konfrontiert wurde, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, sinkt die Plausibilität stellvertretender Äußerungen von Angehörigen. Während bisher die erweiterte Zustimmungslösung so praktiziert wurde, dass in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle eine Äußerung der Angehörigen über den mutmaßlichen Willen des Hirntoten die Grundlage für eine Organentnahme bildete, wird die stellvertretende Äußerung sich künftig im Wesentlichen auf die Gruppe junger Hirntoter zu beschränken haben. Der Anteil derer wird wachsen, bei denen man annehmen muss, dass sie ausreichende Anlässe dazu hatten, ihre Entscheidung selbst zu dokumentieren. Die Entscheidungslösung führt insofern zu Eingrenzungen der erweiterten Zustimmungslösung.
Dass aus der Entscheidungslösung kein Entscheidungszwang wird, ist noch aus einem weiteren Grund ethisch plausibel. Die Organtransplantation beruht auf der Auffassung, dass der vollständige Ausfall der Hirnfunktionen, kurz Hirntod genannt, ein untrügliches Todeszeichen darstellt. Bei Menschen, deren Herz- und Kreislauffunktionen mit intensivmedizinischenMitteln aufrechterhalten werden, führt der Hirntod indessen nicht zur Beendigung aller Organfunktionen. Unabhängig davon, dass diese Menschen von der Mehrzahl der medizinischen Experten und von der Rechtsordnung als tot betrachtet werden, bestehen für viele Menschen erhebliche ethische Vorbehalte dagegen, in einem solchen Zustand den «Tod der menschlichen Person» zu sehen. Herztätigkeit, Atmung und Kreislauf sowie die Möglichkeit des Schmerzempfindens sind für sie Hinweise auf das Leben, die dem Ausfall der Hirnfunktionen als Hinweis auf den Tod entgegentreten. Deshalb wird auch in der Ethik wie im Verfassungsrecht die These vertreten, dass der eindeutig nachgewiesene Hirntod zwar ein untrügliches Indiz für einen irreversiblen Sterbeprozess, aber nicht der Tod der menschlichen Person ist (Denkhaus/Dabrock 2012; Höfling 2012). Wer sich aus diesem Grund an einer Entscheidung zur Organspende gehindert sieht, hat einen Anspruch darauf, in seiner gewissensbestimmten Haltung ernst genommen zu werden; ein Entscheidungsdruck ist damit unvereinbar.
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