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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Dieselbe Auffassung vom Hirntod als Zeichen für einen irreversiblen Sterbeprozess kann bei anderen indessen dazu führen, dass sie einer Organentnahme zustimmen, wenn die Hirnfunktionen endgültig erloschen sind. Die Rechtsordnung muss den Raum für solche unterschiedlichen gewissensbestimmten Entscheidungen offenhalten.
    Auch künftige Bemühungen, mit Hilfe der Organtransplantation Leben zu retten, sollten sich am Weg der Überzeugung und der Freiwilligkeit, also am Weg der Nächstenliebe, orientieren. Sie sollten dem Eindruck wehren, dass Todesdefinitionen je nach medizinischem Bedarf hin- und hergewendet werden – beispielsweise wenn potentielle Spender, bei denen Herz und Kreislauf zum Stillstand gekommen sind, möglichst schnell zur Organentnahme herangezogen werden sollen, obwohl die für die Hirntoddiagnostik vorgeschriebene Frist noch nicht abgelaufen ist (Joffe u.a. 2011). Vor allem aber sollte die Praxis der Organtransplantation so gestaltet werden, dass sie Vertrauen verdient.

    * Zum Vergleich: In Südafrika wurde die Quote für 2005 mit 8,7 Prozent, in den USA für 2006 mit 16 Prozent angegeben. In den USA erwartet man bis 2017 eine Steigerung auf 19,5 Prozent des BIP.

15. Politik
    Lassen sich Macht und Moral verbinden?
    Im Februar 2011 wurde öffentlich bekannt, dass der damalige Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland seinen juristischen Doktorgrad mit einer Dissertation erworben hatte, die eine Fülle von Plagiaten enthielt. Karl-Theodor zu Guttenberg räumte Fehler ein, bestritt aber, dass ihn dabei eine betrügerische Absicht geleitet habe; er sei vielmehr schlicht überfordert gewesen. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte den Politiker mit dem Argument zu halten, sie habe nicht einen wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen Minister in ihr Kabinett berufen. Große Teile der Öffentlichkeit widersprachen heftig; ein Minister, der gegen elementare wissenschaftsethische Pflichten verstoßen hatte, konnte nicht im Amt bleiben. Guttenbergs Rücktritt, Plagiatvorwürfe gegen andere Personen sowie eine breite Debatte über Prinzipien des Wissenschaftsethos waren die Folge.
Die Pflicht zur Wahrheit als ethisches Thema
    Mit diesem Vorgang trat der Begriff der Wahrheit ins Blickfeld, der in der Ethik nur selten so ausführlich erörtert wird, wie er es verdient. Es fällt auf, dass die Traditionen der Tugendlehre Wahrhaftigkeit nicht zu den Kardinaltugenden zählen. In den zehn Geboten dagegen wird die Wahrheitspflicht zum Thema – und zwar im Blick auf eine besonders gefährliche Situation, nämlich die Falschaussage vor Gericht. Das Gebot, «kein falsches Zeugnis zu reden wider deinen Nächsten», bezieht sich in seiner ursprünglichen Bedeutung auf die Aussage eines Zeugen vor Gericht, die gegebenenfalls über Leben oder Tod, Freiheit oder Unfreiheit,gewährten oder verweigerten Schadensersatz entscheiden kann. Bis zum heutigen Tag wird die Wahrheitspflicht bei Zeugenaussagen besonders eingeschärft. Aber auch in anderen Lebensbereichen zeigt sich die zentrale Bedeutung der Verpflichtung auf die Wahrheit. Zu ihnen gehört der Natur der Sache nach die Wissenschaft (siehe Kapitel 13). Karl-Theodor zu Guttenberg wurde in zwei Hinsichten vorgehalten, er habe gegen die Wahrheitspflicht verstoßen: Er hatte seine Quellen nicht klargestellt, sondern ohne Quellenangabe wörtlich oder sinngemäß zitiert; und er hatte den planmäßigen Charakter seines Vorgehens geleugnet.
    Gibt es Notsituationen, so lässt sich aus diesem Anlass fragen, in denen die Verweigerung der Wahrheit erlaubt oder sogar geboten sein kann? Dietrich Bonhoeffer nennt das Beispiel eines Schülers, der vom Lehrer vor versammelter Klasse gefragt wird, ob sein Vater ein Trinker sei (Bonhoeffer 1996: 625). Bonhoeffer räumt dem Schüler das Recht ein, diese Frage wahrheitswidrig zu verneinen, denn der Lehrer hat mit seiner Frage eine Schwelle überschritten, die er hätte beachten müssen. Bonhoeffer selbst machte in der Konspiration gegen Hitler die Erfahrung, sich in allen «Künsten der Verstellung» üben zu müssen (Bonhoeffer 1998: 38). Doch mit der Feststellung, das Gut der Wahrheit kollidiere mit einem anderen hohen Gut, darf man es sich nicht zu einfach machen. Der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht lässt sich nicht durch die Berufung auf einen rechtfertigenden Notstand bagatellisieren, denn menschliche Kommunikation beruht darauf, dass wir uns wechselseitig die Bereitschaft wie die Fähigkeit unterstellen, die

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