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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Horster
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sind das? Die moralischen Sanktionen bestehen in sozialer Ausgrenzung. (Stemmer 2000, 152) Bauer B grenzt sich durch sein Verhalten selbst aus. Er stellt sich außerhalb der moralischen Gemeinschaft. Ein Motiv, moralisch zu handeln, ist das Bedürfnis eines jeden Menschen, dazugehören zu wollen. (Vgl. Tugendhat 1993, 60) Wegen dieses Bedürfnisses riskieren die meisten Menschen den Vertragsbruch aus Furcht vor der genannten Sanktion der Ausgrenzung nicht.
    Jemanden bei moralischem Fehlverhalten nicht mit Sanktionen zu belegen, ist laut Stemmer selbst schon wieder unmoralisch. Darum muss das Nicht-Sanktionieren selbst sanktioniert werden. Das verlangt der Vertrag. Neben die primäre Norm, man dürfe X nicht tun, tritt die sekundäre, dass man das Tun von X sanktionieren muss. Die Sanktion ist genauso Vertragsbestandteil. Entsprechend gibt es im bürgerlichen Recht Konventionalstrafen, die dann wirksam werden, wenn der Vertrag nicht erfüllt wird. Wir finden die entsprechenden Regelungen in den §§ 339ff. BGB. Und in der Tat gehört das Sanktionieren zu unserer üblichen moralischen Praxis: »Wer es unterläßt, auf ein Unrecht sanktionierend zu reagieren, und mit dem Übeltäter so umgeht, als sei nichts geschehen, zieht selbst moralische Mißbilligung auf sich. Wir empören [58] uns über seine Gleichgültigkeit und sein Disengagement. Er hat etwas unterlassen, was er als Mitglied der moralischen Gemeinschaft hätte tun müssen. Als Mitglieder der Gemeinschaft können wir mithin voneinander fordern, ein Unrecht moralisch zu sanktionieren. Und damit hat das Opfer gegenüber den anderen einen Anspruch auf Solidarität in der Reaktion auf das ihm angetane Unrecht.« (Stemmer 2000, 156) Dieser Anspruch ist kein individueller, sondern einer der moralischen Gemeinschaft, denn wenn man durch das Sanktionieren die moralische Gemeinschaft nicht stabilisiert, ist man für deren Instabilität mitverantwortlich.
    Und nun kommt der entscheidende Satz: Hinter dem moralischen Müssen steht nichts anderes als die Sanktionen und keine objektive moralische Ordnung. (Stemmer 2000, 158) Für Stemmer sind die Sanktionen in Anlehnung an Hobbes das Konstituens der moralischen Ordnung. Sanktionen sind zentraler Bestandteil der moralischen Gemeinschaft. Ohne ein Sanktionssystem können wir laut Peter Stemmer nicht von einer moralischen Gemeinschaft sprechen.
    Wenn ein Mensch keine Sanktionen zu befürchten hat, muss er der stemmerschen Konzeption zufolge nicht moralisch handeln, denn erst durch das Sanktionssystem wird der moralische Raum konstituiert. Die kontraktualistische Theorie Stemmers ist analog zum Recht konstruiert. Rechtsnormen befolgt man häufig nur, weil man Sanktionen befürchtet. Das ist zuweilen im Straßenverkehr so: Man würde gern schneller fahren oder falsch parken und hätte kein schlechtes Gewissen dabei, aber man fürchtet das Strafmandat. Stemmer geht nun für das Handeln im Verborgenen davon aus, dass bis zu einem gewissen Grad eine Internalisierung eines solchen äußeren Drucks stattfindet. (Vgl. Stemmer 2000, 173) Man müsse darum auch im Verborgenen moralisch handeln, wenn man inneren Druck vermeiden will. (Vgl. Stemmer 2000, 174) Der Mensch sei ein Gewohnheitstier, selbst in moralischer Hinsicht. Man programmiere sich durch feste Handlungsgewohnheiten. »Man sollte sich zur Moral [59] disponieren, weil man sich dadurch sehr viel Aufwand erspart.« (Stemmer 2000, 179)
    Man reduziert laut Stemmer auf diese Weise die Komplexität einer Entscheidungssituation. Alexander Kluge hat einmal gesagt, dass der Mensch nur aus Bequemlichkeit gut sei. (Vgl. Kluge 2003, 65) Kurt Bayertz beginnt sein Buch
Warum überhaupt moralisch sein?
mit den Worten: »Die meisten Menschen handeln in den meisten Fällen moralisch. Sie tun dies, ohne zu klagen und ohne nachzudenken, denn das Moralische versteht sich immer von selbst.« (Bayertz 2004, 13) An diese Auffassungen könnte Stemmer bruchlos anschließen, denn jeder tut nach seiner Ansicht, wenn er moralisch handelt, offenbar etwas, was er eigentlich nicht tun will, bekommt aber etwas, was ihm wichtiger ist, nämlich, dass die anderen sich ebenfalls moralisch verhalten. (Vgl. Stemmer 2000, 190) Das ist nach meiner Ansicht höchst spekulativ. Und man kann deshalb nicht davon ausgehen, dass der Sanktionsdruck, von dem Stemmer ausgeht, so groß ist, dass jeder sich auch im Verborgenen tatsächlich moralisch verhält. Mit der Annahme eines etablierten Sanktionssystems steht und fällt

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