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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Horster
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dann kann man es ertragen, dass den eigenen Erwartungen möglicherweise nicht entsprochen wird. (Luhmann 2008, 29) Diese Erträglichkeit von Unsicherheit führt selbstverständlich zu einer weiteren Stabilisierung der Interaktionen in unserer individualisierten Gesellschaft.
    Die Erwartungen und Erwartungserwartungen liegen der Normbildung zugrunde. (Luhmann 2008, 31) Normen liegen in ganz abstrakter Form vor: Man soll seine Fürsorgepflicht erfüllen, man soll die physische und psychische Integrität von Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, nicht verletzen. Auf diese Art und Weise wird das Sollen entpersonalisiert und anonymisiert. »Objektivität des Sollens ist mithin ein unentbehrliches Requisit der Erwartungsintegration im einzelnen Subjekt« (Luhmann 2008, 33), »denn es hat keinen Sinn, die Befolgung einer Norm zu verlangen, der zuzustimmen man nicht gehalten ist« (Luhmann 2008, 111), sondern über die man noch mal reden kann. Damit wendet Luhmann sich gegen die habermassche Konsensus- oder Diskurstheorie der Moral und weist auf deren Unlogik in diesem Punkt hin.
    Im Anschluss an Johan Galtung differenziert Luhmann zwischen kognitiven und normativen Erwartungen. Bei normativen hat man sich lernresistent zu zeigen: Man sucht eine Sekretärin und lehnt die Bewerberin ab, weil sie nicht den Ansprüchen genügt, die an eine Sekretärin gestellt werden, nämlich mit Textverarbeitungsprogrammen umgehen und über interne Betriebsvorgänge anderen gegenüber verschwiegen sein zu können. Wenn man eine blonde Bewerberin erwartet, so handelt es sich um eine kognitive Erwartung. In einem solchen Fall hat man sich lernbereit zu zeigen. Man kann nicht das Umfärben der Haare erwarten. (Luhmann 2008, 36)
    [63] Moralische Regeln nun geben normative Erwartungen und Erwartungserwartungen vor. Ohne sie könnte das soziale Handeln nicht stattfinden. Durch sie werden die Spielräume der doppelten Kontingenz eingeschränkt, und man weiß, was man von seinem Gegenüber zu erwarten hat. Die vielen Handlungsmöglichkeiten, die jeder Mensch prinzipiell hat und die sich durch doppelte Kontingenz noch enorm vermehren, werden durch moralische Regeln – selbstverständlich auch durch Traditionen und durch das Recht – begrenzt. Dadurch, dass moralische Pflichten die Handlungsmöglichkeiten einschränken, werden die wechselseitigen Erwartungen und Erwartungserwartungen der Menschen erfüllt und der soziale Friede bleibt erhalten. Darin liegt die Funktion der Moral. Mit ihrer Hilfe darf man erwarten, was man erwartet.
    Fassen wir zusammen: Die Moral hat für die Interaktion eine nicht zu unterschätzende, ja zentrale funktionale Bedeutung. Jede Interaktion müsste zusammenbrechen, wenn man sich nicht darauf verlassen könnte, dass Menschen pflichtgemäß handelten. Man wäre ständig in Unsicherheit, was der andere jetzt tun wird. »Für menschliches Zusammenleben ist es eben nicht gleichgültig, ob es objektive Pflichten gibt.« (Kutschera 1994, 254) Auch andere Philosophen konstatieren, dass ohne sie soziales Leben unmöglich wäre. (Vgl. Urmson 1958, 209)

[64]
Sensualismus und schottische Moralphilosophie
    C belehrt A darüber, dass er wegen eines Fußballspiels ein Versprechen nicht brechen darf. Das müsse ihm sein Gefühl doch schon sagen. Die Betonung der Gefühle in der Ethik hat eine lange Tradition, die bei den schottischen Moralphilosophen Shaftesbury (1671–1713), Hutcheson (1694–1746), Reid (1710–1796), Hume (1711–1776) und Smith (1723–1790) ihre Blütezeit hatte. Shaftesbury war der Erste in dieser schottischen Philosophietradition, der die moralischen Affekte untersuchte. Ihm zufolge war das Gefühl für das moralisch Richtige zugleich ein Affekt und eine Art der Reflexion. Nach Shaftesburys Auffassung gibt es sowohl auf das Selbst wie auf die Gemeinschaft bezogene Affekte. Tugendhaft ist der Mensch, der diese verschieden gerichteten Affekte in Harmonie zu bringen weiß. Diese Tugend heißt bei Shaftesburys Schüler Francis Hutcheson »Moral Sense«. Die Idee der Harmonie von privaten und aufs Öffentliche bezogenen Affekten bildet die Grundlage für diese schottische Ethiktradition, in der auch Thomas Reid, David Hume und Adam Smith stehen.
    Bei Hutcheson liegt erstmals eine systematische Theorie der ethischen Gefühle vor. Er argumentiert gegen den eine egoistische Ethik vertretenden Autor der
Bienenfabel
, Bernard de Mandeville, und er fragt, wie denn bei allem Egoismus zu erklären sei, dass

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