Ethik: Grundwissen Philosophie
und schaute doch blaß, mit bitterbösem Ausdruck auf seinen Milchbruder.« (Augustinus 1982, 38f.) Daraus leitete Augustinus die Notwendigkeit der Taufe ab, durch die der Mensch von der Sünde befreit werden sollte. (Vgl. Flasch 1980, 195) Und als die Bischöfe durch die Argumente von Augustinus’ Gegnern, zu denen insbesondere Pelagius (360–435) gehörte, ins Schwanken gerieten, argumentierte Augustinus, dass ohne die Taufe die Existenz der Kirchenoberen überflüssig würde. (Vgl. Flasch 1980, 178) Das war ein überzeugendes Argument für Letztere, sich auf Augustinus’ Seite zu schlagen. (Vgl. Sommer 2005, 5) So ging Augustinus aus diesem Streit als Sieger hervor. Das Konzil von Ephesos verurteilte 431 die Lehre des Augustinus-Gegners Pelagius. Die offizielle Doktrin der westlichen Kirche wurde die augustinische Auffassung. (Vgl. Sommer 2005, 4) Die Quellenlage ist bei Pelagius aus diesem Grund eher spärlich und unsicher. Oft sind die Gedanken des Pelagius nur antonymisch aus den Schriften des Augustinus zu ermitteln. Dementsprechend vage können sie nur vorgetragen werden.
[75] Im 5. Jahrhundert begann die lawinenartige Welle der Hinwendung zum Christentum, oft aus Opportunität. Pelagius forderte infolgedessen die kompromisslose Verwirklichung des christlichen Glaubens. Der Mensch solle sich frei entscheiden zum Glauben und ihn leben und nicht aus Opportunismus zum Christentum übertreten. (Vgl. Greshake 1989, 234f.) Überdies hatte Pelagius noch ein stichhaltiges Argument gegen die Erbsündenlehre des Augustinus: »Für Pelagius war es mit Gottes Gerechtigkeit unvereinbar, vom Menschen sittliche Vollkommenheit zu fordern, wenn der Mensch dazu außerstande wäre. Folglich müsse es in der Macht der menschlichen Freiheit liegen, das Gute zu tun. Diese Freiheit kann durch die Sünde nicht zerstört worden sein; eben darin, daß wir sie besitzen, besteht die Gnade Gottes. Die Lehre von einer ererbten Schuld hielt Pelagius für einen Widerspruch in sich; außerdem hielt er ihr vor, sie lähme den Willen zu einer sittlichen Lebensführung.« (Flasch 1980, 177) Der Widerspruch besteht darin, dass nach der Erbsündenlehre Gott der Urheber des Bösen sein müsse, was schlechterdings undenkbar ist. Julianus von Eclanum, der die Lehre des Pelagius mit einer wissenschaftlicheren Argumentation ausarbeitete, wendete sich ebenfalls unter Berufung auf die Bibel (vgl. Deuteronomium 24, 16) gegen die Sippenhaftung der Erbsündenlehre: Es widerspreche der Gerechtigkeit, die Kinder für die Sünden der Väter zu bestrafen. Dem begegnete Augustinus mit dem Argument, dass die Gerechtigkeit Gottes umso erhabener sei, je unerforschlicher sie sei: »Unterscheide von der menschlichen Gerechtigkeit die göttliche, und du wirst sehen, daß Gott die Sünden der Väter gerechterweise an den Söhnen rächen kann, was, wenn ein Mensch in seinem Urteil es sich anmaßte, ungerecht ist.« (Augustinus, zit. nach Flasch 1980, 200) Für diese Argumentation konnte Augustinus eine weitere Stelle aus den Römerbriefen als Beleg heranziehen: »Denn zu Mose sagt er: Ich schenke Erbarmen, wem ich will, und erweise Gnade, wem ich will. Also kommt es nicht auf das Wollen [76] und Streben des Menschen an, sondern auf das Erbarmen Gottes.« (9, 15 und 16)
Augustinus’ Vorstellung davon, wie man gottgefällig lebt, sieht so aus: 1. Durch das Gesetz erkennt man die Sünde. 2. Durch den Glauben erlangt man die Gnade gegen die Sünde. 3. Durch die Gnade wird die Seele von der Sünde geheilt. 4. Durch diese Heilung entsteht die Freiheit des Willens. 5. Durch den freien Willen entsteht die Liebe zur Gerechtigkeit. 6. Die Liebe zur Gerechtigkeit bewirkt die Befolgung des Gesetzes. (Vgl. Jonas 1965, 36)
Nach Augustinus kann der Mensch also allein durch Gottes Gnade gut sein. Nach Pelagius kann der Mensch von sich aus den guten Willen haben, das göttliche Gesetz zu befolgen. Pelagius vertrat die Auffassung, dass der Mensch aus eigenem Vermögen zur Sündlosigkeit fähig ist. Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch frei und rational entscheiden kann. (Vgl. Sommer 2005, 3) Für Augustinus hingegen sind die Menschen keine frei zwischen Gut und Böse wählenden Wesen. (Vgl. Sommer 2005, 17)
Es ist letztlich auf die Aufklärung zurückzuführen, dass uns heute die Auffassung des Pelagius näherliegt. Wir haben nach der oben ausgeführten Auffassung von Kant in uns und nicht in Gott liegende Motive, moralisch zu handeln. Dies ist nach anderen normativen
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