Ethik: Grundwissen Philosophie
sind ausdrücklich beabsichtigt.« (Fuchs 2006, 35) Warum eigentlich? Die Terroristen fühlen sich als Vertreter der machtlosen, unterdrückten und entrechteten Völker. Sie reagieren »auf den Hochmut der Mächtigen, als die gerechte Strafe für ihre Anmaßung und für ihre gotteslästerliche Selbstherrlichkeit und Grausamkeit« (Ratzinger 2005, 32). Sie richten sich an die nach ihrer Auslegung verkommene und entfremdete Gesellschaft. Sie tun es auf diese Weise, weil sie keine andere Möglichkeit sehen. Sie können ihren Protest nicht in einem Brief an die Gesellschaft adressieren, ebenso wenig an ein Teilsystem der Gesellschaft wie zum Beispiel an die Wirtschaft. Darum gehen die Terroristen, so führt Fuchs aus, eine Komplizenschaft mit den Massenmedien ein. Diese Verbindung ist eine höchst brisante für uns Menschen, denn wir erleben aufgrund der täglichen Berichterstattung über den Terror eine Abstumpfung bei uns selbst und anderen. Die Massenmedien werden ebenfalls gleichgültiger. Wir beobachten, dass die täglichen Terrorakte im Irak und in Afghanistan unter der Rubrik »Was sonst noch heute geschah« zu finden sind. Darum steht nach Fuchs der Terror unter dem Zwang, »mehr Unschuldige in Mitleidenschaften zu ziehen, grässlichere Mittel der Vernichtung einzusetzen (Viren, Giftgas, Atombombe etc.), um das Ziel der intensiven Irritation der Gesellschaft und ihrer Funktionssysteme zu erreichen« (Fuchs 2006, 36).
[82] Man kann den Terror insofern mit Peter Fuchs als einen gewaltsamen Abbruch der Kommunikation deuten. Das entspricht durchaus dem, was Hannah Arendt mit Verweigerung von Pluralität meint. Wenn man nun Kant genau liest, ist er davon nicht weit entfernt: Ein Mensch, der radikal böse ist, hat die Hierarchie von Sittengesetz und Selbstsucht umgekehrt und macht das überindividuelle Sittengesetz nicht zur Maxime seines Handelns. Er ist stumm und verweigert sich der Pluralität. Er schafft sich nach der Auffassung des großen Königsberger Philosophen eine grundsätzlich andere Wertordnung. (B 35) Das Sittengesetz, das die Maxime des Handelns und den freien Willen des Menschen auf das Zusammenleben mit anderen ausrichtet, existiert für den radikal Bösen nicht. Die Interpretation von Rolf Zimmermann zielt in eine ähnliche Richtung: Hitler wollte mit der jüdischchristlichen Tradition, in der das Morden und Quälen von Menschen moralisch und rechtlich geächtet wird, brechen. Die Juden, die diese moralische Tradition vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden begründet hatten, sollten verschwinden. Auf diese Weise wurde Radikalität demonstriert. Das neue Menschentum, das Hitler und seinen Ideologen vorschwebte, erforderte einen anderen Gattungsbegriff, mit dem das Recht auf Tötung und Folterung wiederhergestellt werden sollte. (Vgl. Zimmermann 2005, 36) Hitler wollte, wie Arendt es ausdrückt, »die Negation der Moral als solcher«, die »Umkehrung der Zehn Gebote«, und nicht den punktuellen Verstoß gegen moralische Regeln. (Arendt 2006, 13, 16) Und diese Umkehrung ist den Nazis partiell gelungen. In der berühmt-berüchtigten Posener Rede vom 4. Oktober 1943 bezeichnet Himmler diejenigen SS-Männer als »anständig«, die angesichts der von ihnen produzierten Leichen nicht schwach geworden sind, die sich keinen »Humanitätsduseleien« hingaben. Und die Rede gipfelt in dem Satz: »Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk [gemeint sind die Juden], das uns umbringen wollte, umzubringen.«
[83] Julian Nida-Rümelin weitet diesen Gedanken noch aus: »Und das war gerade das Ziel rassistischer, stalinistischer, nationalsozialistischer Ideologien; das war das Ziel: abzuwerten, die humanistischen Einsichten in Verantwortung, Rationalität und Freiheit, die Ethik der Rücksichtnahme und des Respekts zu destruieren. Eine wesentliche Rolle für diese Ideologien spielte die Überzeugung, dass Menschen nicht von Gründen, sondern von Anderem als Gründen gesteuert sind: von rassischer oder nationaler oder Klassenzugehörigkeit zum Beispiel.« (Nida-Rümelin 2006, 62) Für diese Auffassung Nida-Rümelins finden sich vielfache, im Folgenden aufgeführte Belege.
»Wer für den Kommunismus kämpft«, sagt Bert Brecht, »der muß kämpfen können und nicht kämpfen; die Wahrheit sagen und nicht die Wahrheit sagen; Dienste erweisen und Dienste verweigern; Versprechen halten und Versprechen nicht halten; sich in Gefahr begeben und die Gefahr vermeiden; kenntlich
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