Ethik: Grundwissen Philosophie
der Welthungerhilfe oder anderer Organisationen in den Papierkorb werfen, das selbst auch tun kann. Dazu Peter Singer: »Sollte ich etwa der Meinung sein, dass ich weniger dazu verpflichtet bin, das ertrinkende Kind aus dem Teich zu ziehen, wenn ich andere Menschen sehe, nicht weiter entfernt als ich, die das Kind ebenfalls bemerkt haben und keine Anstalten machen einzugreifen?« (Singer 2007, 41) Das kann im Ernst keiner glauben.
Man könnte nun, wenn man diese Argumente Singers überzeugend findet, sagen, dass man barmherzig sein sollte und spenden. Wir erinnern uns: Wir gehen durch einen karitativen Akt über unsere moralische Pflicht hinaus. Wir würden sie in einem Übermaß erfüllen, wenn wir nicht der Auffassung sind, dass die moralische Gemeinschaft globale Ausmaße hat. Peter Singer hingegen ist der Überzeugung, dass man unabhängig von der Entfernung die positive Pflicht hat zu helfen, dass es keineswegs nur ein mildtätiger Akt ist. Seiner Ansicht nach ist die moralische Gemeinschaft eine globale und er führt deshalb drittens Folgendes an: »Vielleicht ist es möglich, die Unterscheidung zwischen Pflicht und Wohltätigkeit an einer anderen Stelle neu zu ziehen. Ich möchte lediglich dafür argumentieren, dass das gegenwärtige Verständnis dieser Unterscheidung unhaltbar ist, dem zufolge es für jemanden, der auf dem Wohlstandsniveau lebt, das die meisten Menschen in den ›entwickelten Ländern‹ genießen, ein Wohltätigkeitsakt ist, eine andere Person vor dem Hungertod zu retten.« (Singer 2007, 43) Singer ist also der Auffassung, dass es nicht eine Frage der möglichen Barmherzigkeit ist, sondern dass wir die positive Pflicht haben, zu helfen. Die moralische Pflicht sollte seiner Auffassung nach nicht an den Landesgrenzen haltmachen. »Vom moralischen Standpunkt aus betrachtet muss [94] die Vermeidung des Hungertods von Millionen von Menschen außerhalb unserer Gesellschaft als mindestens ebenso dringlich erachtet werden wie die Aufrechterhaltung von Eigentumsnormen innerhalb unserer Gesellschaft.« (Singer 2007, 45)
Wenn man diese Überzeugung vertritt, stellt sich die Frage nach der Höhe der regelmäßigen Spende: »Jegliche Zahlangabe muß willkürlich bleiben, aber vielleicht ließe sich manches für einen runden Anteil vom Einkommen sagen, beispielsweise 10% – mehr als eine bloß symbolische Spende, aber dennoch nicht so hoch, daß nur Heilige dafür in Frage kommen. […] Manche Familien werden natürlich 10% als eine beträchtliche Belastung ihrer Finanzen empfinden. Andere dürften in der Lage sein, ohne Schwierigkeiten mehr zu spenden. Keine Quote sollte als starres Minimum oder Maximum propagiert werden; aber es läßt sich schon vertreten, daß diejenigen, die in Überflußgesellschaften über ein durchschnittliches Einkommen verfügen, sofern sie nicht eine ungewöhnlich große Zahl von Angehörigen oder andere spezielle Bedürfnisse haben, ein Zehntel ihres Einkommens abgeben, um die absolute Armut zu vermindern. Nach jedem vernünftigen ethischen Maßstab ist das ein Minimum, und wir handeln unrecht, wenn wir weniger tun.« (Singer 1984, 246f.) Auf konkreten Berechnungen beruht die Vorstellung von Thomas Pogge: »Zur Vermeidung gravierender Armut, wie die Weltbank sie definiert, bedarf es institutioneller Reformen, die das Kollektiveinkommen der Armen von derzeit 420 auf etwa 720 Milliarden Dollar pro Jahr anheben würden. Diese Einkommensverschiebung von 300 Milliarden Dollar entspricht etwa 0,7% des globalen Bruttosozialprodukts von 2005 (45 Billionen Dollar) und knapp 1% der Bruttosozialprodukte der reichen Länder im selben Jahr (ca. 35,5 Billionen Dollar). Gravierende Armut vermeidende Reformen würden also unseren Lebensstandard um etwa 1% schmälern, und wir würden dann, bei fortgesetztem Wirtschaftswachstum, jeden zukünftigen Lebensstandard einige Monate [95] später erreichen, als es sonst der Fall wäre.« Und er fragt dann: »Ist es wirklich so unrealistisch zu hoffen, dass man hinreichend viele Bürger der reichen Länder dazu bewegen kann, die Opportunitätskosten einer solchen Reform zu akzeptieren, anstatt weiterhin Verantwortung für das furchtbare Leiden – einschließlich 18 Millionen armutsbedingter Todesfälle pro Jahr – zu tragen, das gravierende Armut mit sich bringt?« (Pogge 2007b, 974) Diese rhetorisch gemeinte Frage bedarf keiner Antwort.
Für Singer und für Pogge ist die moralische Gemeinschaft eine globale. Wir hätten demnach nicht nur in einem
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