Ethik: Grundwissen Philosophie
Akt der Barmherzigkeit gegen die Armut anzutreten, so wie der Samariter seine moralische Pflicht in einem Übermaß erfüllt, sondern wir hätten die objektive Pflicht, zu spenden. Doch »die meisten von uns erachten es in der Tat nicht als Pflicht, sich gegen die Weltarmut in Form von Spenden oder von karitativem Engagement einzusetzen, sondern möglicherweise als eine Tugend, als etwas, was durchaus lobenswert und vielleicht sogar ›heldenhaft‹ ist, jedoch nicht von uns verlangt werden kann« (Bleisch/Schaber 2007, 14). Singer und Pogge hingegen sprechen von positiven Pflichten, die wir hätten. Was versteht man unter positiven Pflichten? Es sind Hilfspflichten, die man hat. Es ist die Pflicht, zu handeln, nicht die, etwas zu unterlassen. Hier ist der Unterschied zwischen Handeln und Unterlassen relevant, den Philippa Foot folgendermaßen erläutert: »Die meisten von uns lassen zu, daß Menschen in Indien und Afrika vor Hunger sterben, und es ist sicher etwas moralisch Falsches daran, daß wir das tun. Die Annahme wäre jedoch unsinnig, daß der Unterschied zwischen dem Verhungernlassen der Leute in den unterentwickelten Ländern und dem Senden giftiger Nahrungsmittel nur im Recht gilt. In unserem Moralsystem ist eine Unterscheidung verankert zwischen dem, was wir anderen Menschen in Form von Hilfe, und dem, was wir ihnen in Form von Nichteinmischung [d. i. Unterlassen] schulden.« (Foot 1990, 205) Die meisten Menschen sind sich wahrscheinlich [96] einig darüber, dass man schädigende Handlungen zu unterlassen habe. Das bedeutet, dass jeder negative beziehungsweise Unterlassungspflichten hat. Positive Pflichten, nach denen man verpflichtet sei, die Menschen in anderen Ländern dieser Welt vor dem Hungertod zu retten, werden hingegen »von manchen leidenschaftlich abgelehnt« (Pogge 2007a, 99). Doch ebenso gibt es leidenschaftliche Befürworter der Tatsache, dass wir positive Pflichten haben. (Vgl. Pogge 2007a, 99)
Darum müsste genauer bestimmt werden, unter welchen Bedingungen sich eine positive Pflicht konstituiert. Corinna Mieth hat verschiedene Kriterien dafür entwickelt. Sie geht zunächst davon aus, dass eine objektive Notlage gegeben sein muss. Eine solche wird von ihr gütertheoretisch definiert. Eine objektive Notlage liegt vor, wenn jemandem die zum Leben notwendigen Güter fehlen. Dazu gehören: »angemessene Nahrung, Unterkunft, Kleidung und die Möglichkeit, seinen eigenen Lebensplan zu entwickeln und zu verfolgen« (Mieth 2007, 10).
Auf der Geberseite müssten zur Annahme, dass es positive Pflichten gibt, vier Kriterien erfüllt sein:
1. Das Kriterium der Zuständigkeit. Dabei taucht eine Reihe von Fragen auf, die beantwortet werden müssen: »Muss man allen, die gleich bedürftig sind, mit demselben Aufwand helfen? Kommen hier nicht Nahestehende zuerst? Kann es nicht sein, dass wir für die Hilfe gegenüber Nahestehenden, etwa unseren eigenen Kindern, viel mehr Mühe und Einschränkungen auf uns nehmen müssen als für die Hilfe gegenüber Fernstehenden wie etwa den Notleidenden der Dritten Welt? Haben nicht bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Feuerwehrmänner, Polizisten oder Soldaten ein größeres Maß an Zuständigkeit in bestimmten Notlagen als andere?« (Mieth 2007, 11f.) Wir sehen bereits an dieser Stelle, dass erneut die ungelöste Frage auftaucht, wie weit die moralische Gemeinschaft reicht.
[97] 2. Das Kriterium der Zumutbarkeit. Auch hier stellen sich zahlreiche moralphilosophisch interessante Fragen. »Wie viel darf die Hilfe gegenüber objektiv Bedürftigen uns kosten? Müssen wir, wie etwa Peter Unger oder Henry Shue verlangen, im Zweifelsfall unseren luxuriösen Lebensstandard aufgeben? Sicher ist hier die Frage, wie sich dieses Kriterium zu dem der Zuständigkeit verhält. Wenn es gestufte Zuständigkeiten gibt, dann gibt es auch schwächere Hilfspflichten gegenüber Menschen, die in diesen oder jenen Zuständigkeitsbereich nicht fallen.« (Mieth 2007, 12) Das betrifft wieder die Reichweite der moralischen Gemeinschaft. Und was die Frage der Zumutbarkeit angeht, gilt hier der über Jahrtausende gültige Rechtsgrundsatz des römischen Rechts: Ultra posse nemo obligatur; niemand muss mehr leisten, als er kann.
3. Das Kriterium der Zulässigkeit: »Darf man stehlen, um jemanden mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen? Darf man, wie bei der humanitären Intervention, Unschuldige gefährden, oder sogar töten, um anderen das Leben zu retten? Hier geht es um eine
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