Ethik: Grundwissen Philosophie
Güterabwägung, die wir noch genauer untersuchen müssen.« (Mieth 2007, 12) Dieses Kriterium richtet sich also auf die typischen moralischen Dilemmasituationen, von denen bereits die Rede war.
4. Das Kriterium der Aussicht auf Erfolg. Hierbei geht es um die Aufforderung, die Hilfe möglichst effektiv zu gestalten. (Vgl. Mieth 2007, 12)
Letztgenanntes Kriterium bedarf besonderer Aufmerksamkeit, denn oft wird argumentiert, dass gewährleistet sein müsse, dass die Hilfe nicht gänzlich unkoordiniert geleistet werde. Die Spenden könnten irgendwo »versickern«, wird manchmal rationalisierend und rechtfertigend für die mangelnde eigene Spendenbereitschaft ins Feld geführt. Ja, es sei möglicherweise sogar kontraproduktiv, zu spenden. Der renommierte kalifornische Humanökologe Garrett Hardin vertrat die Auffassung, dass solche Hilfe zum Überleben [98] schädlich sei, denn sie beschleunige das Bevölkerungswachstum. Das führe langfristig zu einer größeren Katastrophe, als wir sie derzeit haben. Bekannt ist seine »Lifeboat-These«, in der er die Nationen mit Rettungsbooten vergleicht, die keinesfalls überladen werden dürften, wenn wir nicht alle mit den Geretteten untergehen wollten. (Vgl. Bleisch/Schaber 2007, 16) Andere sind der Überzeugung, dass wir mit unserer Hilfe die Inaktivität der Betroffenen fördern würden und ihre langfristig wirkende Eigeninitiative behinderten; frei nach dem chinesischen Sprichwort: »Gib einem Hungrigen einen Fisch und er wird einen Tag satt. Lehre ihn angeln und er wird nie mehr hungern.« Das müsste unter Effektivitätsgesichtspunkten ebenfalls berücksichtigt werden.
Meines Erachtens sollte aufgrund der Widerstände gegen den Begriff der positiven Pflichten, die Thomas Pogge ins Feld geführt hat, auf die Unterscheidung von positiven und negativen Pflichten verzichtet werden. Es reicht gänzlich, davon auszugehen, dass moralische Regeln immer in Verbote und Gebote gekleidet sind: Man muss Hilfsbedürftigen helfen und hat die Schädigung anderer zu unterlassen, man muss Leben schützen und darf niemanden töten usw. So vermeidet man, dass man sich mit den von Pogge genannten Widerständen auseinandersetzen muss, und kommt dennoch in der Diskussion um die Reichweite der moralischen Gemeinschaft weiter. In diesem Kontext könnte man die Vorschläge von Corinna Mieth erneut aufgreifen, denn aus ihnen ließe sich ein Reichweitekriterium entwickeln, ähnlich wie es William D. Ross für den Fall von konfligierenden Pflichten vorgeschlagen hat. Danach würde die Grenzziehung folgendermaßen aussehen: Kann man nicht zugleich seinen nahen Angehörigen in der Notsituation und dem 15 000 km weit entfernten Kind helfen, muss man sich entsprechend dem Kriterienkatalog von Corinna Mieth für die Nahestehenden entscheiden, wenn man dadurch schon die Grenzen der Zumutbarkeit (2. Kriterium) erreicht hat.
[99] Wie schwierig, doch gleichzeitig von allen als dringlich erachtet es ist, dem Problem der Weltarmut zu begegnen, zeigt sich an der Vielzahl von philosophischen Begründungen für eine effektive Lösung. Die Autoren orientieren sich dabei an verschiedenen Rechtsfiguren. Anwander und Bleisch bedienen sich der Figur der ungerechtfertigten Bereicherung. (Vgl. Anwander/Bleisch 2007) Im Bürgerlichen Gesetzbuch lesen wir im § 812 Absatz 1 Satz 1: »Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet.« Jeder Einzelne von uns profitiert beim Kauf eines billigen T-Shirts von der ungerechten Weltordnung. Wir seien deshalb verpflichtet, denen einen Beitrag zu zahlen, die uns durch ihre Leistung den Kauf des preisgünstigen T-Shirts oder anderer Dinge, die in armen Ländern produziert werden, ermöglicht haben. (Vgl. auch Anwander 2005, 45)
David Miller orientiert sich an einer anderen Rechtsfigur: an der Gefährdungshaftung. Er unterscheidet zwischen Ergebnis- und Beseitigungsverantwortung. Bei Ersterer wird danach gefragt, wer die Weltarmut zu verantworten habe. In der Regel, so merkt Miller an, werde ausschließlich nach der Beseitigungsverantwortung gefragt; so etwa von Peter Singer in seinem Teichbeispiel. Doch müssten diejenigen, die die Weltarmut verursacht haben, für die Schäden aufkommen, somit müsste nach der Ergebnisverantwortung gefragt werden. Allerdings sei das »mit der Armut in den Entwicklungsländern […] nicht so einfach: Sie besteht chronisch, hat strukturelle
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