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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Statt wieder zu springen und mich zu erledigen, stand er in sich gekeimt da. Wie ein Kuharsch.
    Ich schaute mich um, und ich sage euch, das letzte Mal hatte ich so etwas in
Geburt einer Nation
von Griffith gesehen. Denn zwischen den Bäumen hervor kam der Entsatz galoppiert. Doch es war weder die U.S.   Cavalry noch der Ku-Klux-Klan. Es war mein Bekannter, ein gewisser Charles Lutwidge Dodgson. Er sah aus, sage ich euch, wie der heilige Georg auf dem Bild von Carpaccio, und bewaffnet war er mit einem blitzenden, scharfgebifften Schwert.
    Ihr werdet es nicht glauben, aber der Bandersnatch floh als Erster. Seinem eingeklemmten Schwanz hinterher suchten Les Cœurs ihr Heil in der Flucht, soweit sie ihre Beine noch gebrauchen konnten. Und als Letzte verließ Königin Mab das Schlachtfeld, wobei sie in ihr Atlaskleid weinte. Ich jedoch sah das schon wie durch ein mit Rote-Rüben-Suppegefülltes Aquarium. Und einen Augenblick später   …
    Ihr müsst versprechen, dass ihr nicht lachen werdet.
    Einen Augenblick später erblickte ich ein Kaninchen mit roten Augen, das aufs Zifferblatt einer Uhr schaute, die es aus der Westentasche genommen hatte. Und dann fiel ich in ein schwarzes, bodenloses Loch.
    Der Fall dauerte lange.
    Ich bin ein Kater. Ich falle immer auf die vier Pfoten. Selbst wenn ich mich nicht daran erinnern kann.
     
    »Ach«, sagte plötzlich Charles Lutwidge Dodgson, mit dem Ellenbogen auf ein Weidenkörbchen mit Pasteten gestützt. »Kennst du, Cheshire-Kater, dieses wonnigliche Gefühl von Schläfrigkeit, das das Erwachen an einem Sommermorgen begleitet, wenn die Luft vom Zwitschern der Vöglein erfüllt ist, ein frischer Luftzug durchs offene Fenster hereinweht, du aber träge mit halb geschlossenen Augen daliegst und, als ob du immer noch träumtest, sich träge wiegende grüne Zweige siehst, eine Wasseroberfläche, von kleinen goldenen Wellen gekräuselt? Ach, glaub mir, Kater, das ist eine Wonne, die an tiefe Trauer grenzt, eine Wonne, die die Augen mit Tränen füllt wie ein schönes Bild oder ein schöner Vers.«
    Ihr werdet es nicht glauben. Er stotterte kein einziges Mal.
    Das Picknick verlief bestens. Alice Liddell und ihre Schwestern vergnügten sich lärmend am Themseufer, stiegen eine nach der anderen in das vertäute Boot und sprangen nacheinander heraus. Wenn eine dabei in das flache Wasser am Ufer platschte, quiekte sie durchdringend und hob das Röckchen weit empor. Dann merkte der neben mir sitzende Charles Lutwidge Dodgson ein wenig auf und errötete ein wenig.
    »
And I have loved you so long   …«,
summte ich in meine Schnurrhaare und dachte, dass der Schnapphase in vielerlei Hinsicht recht gehabt hatte.
    »Wie bitte?«
    »›Greensleeves‹. Aber lassen wir das. Weißt du was, lieber Charles? Schreib das alles auf. Die Geschichte, wie unschwer zu erkennen ist, trat langsam, Stück für Stück ans Tageslicht. Es ist an der Zeit, das zu beschreiben. Zumal ein Anfang schon gemacht ist.«
    Er schwieg. Und wandte den Blick nicht von der freudig quietschenden Alice Liddell, die das Röckchen so hob, dass man die Schlüpfer genau sehen konnte.
    »Die Zeit enteilt uns ohne Ruh, uns trennt ein halbes Leben«, sagte er plötzlich leise. »Heut ist ihr Silberlachen weit, ihr sonnenheller Blick, sie denkt wohl auch in künft’ger Zeit nicht mehr an mich zurück   …«
    »Ich würde eher zu Prosa raten«, konnte ich mir nicht verkneifen. »Poesie verkauft sich nicht.«
    Er schaute mich an und verzog leicht das Gesicht. »Könntest du dich nicht   … hmmm   … mehr materialisieren?«, fragte er. »Es irritiert, auf dein Grinsen zu schauen, das im Nichts schwebt.«
    »Heute, lieber Charles, kann ich dir nichts abschlagen. Ich schulde dir zu viel.«
    »Lassen wir das«, sagte er verlegen und wandte den Blick ab. »Jeder an meiner Stelle   … Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie   … und du   … von meiner eigenen Phantasie umgebracht wurden.«
    »Danke, dass du es nicht zugelassen hast. Aber so unter uns: Woher, aromer Sohn, hattest du das scharfgebiffte Schwert?«
    »Woher hatte ich was?«
    »
Forget it.
Charles, wir schweifen vom Thema ab.«
    »Ein Buch, das das alles beschreibt?« Er wurde wiedernachdenklich. »Was weiß denn ich? Ich weiß wirklich nicht, ob ich imstande wäre   …«
    »Wärst du. Deine Phantasie hat eine Kraft, die Rippen brechen kann.«
    »Hmmm.« Er machte eine Bewegung, als wollte er mich streicheln, überlegte es sich aber rechtzeitig anders. »Hmm, wer

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