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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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weiß? Vielleicht würde ihr   … so ein Buch gefallen? Außerdem, das College zahlt miserabel, ein paar Pfund zusätzlich wären nicht schlecht. Natürlich müsste ich es unter einem Pseudonym herausbringen. Meine Stellung als Dozent   …«
    »Du brauchst einen ordentlichen
nom de plume
, Charles.« Ich gähnte. »Nicht nur im Hinblick auf die Vorgesetzten. Dein Familienname eignet sich nicht für einen Buchumschlag. Er klingt, als ob jemand, der an Schwindsucht leidet, sein Testament diktiert.«
    »Unerhört.« Er spielte Entrüstung. »Hast du vielleicht einen Vorschlag? Etwas, was besser klingt?«
    »Habe ich. William Blake.«
    »Du machst Witze.«
    »Emily Brontë.«
    Diesmal verstummte er und sagte lange Zeit nichts. Die Fräuleins Liddell hatten am Ufer eine leere Muschel gefunden. Die Freudenschreie fanden kein Ende.
    »Schläfst du, Cheshire-Kater?«
    »Ich versuche es.«
    »Na, dann schlaf, Tiger, Brand entfacht in den Wäldern tiefer Nacht. Ich will dich nicht stören.«
    »Ich liege auf dem Ärmel deines Talars. Was ist, wenn du aufstehen willst?«
    Er lächelte. »Ich schneide den Ärmel ab.«
    Wir schwiegen lange, schauten auf die Themse, auf der Enten und Haubentaucher schwammen.
    »Die Schriftstellerei   …«, sagte Charles Lutwidge plötzlichund machte den Eindruck von jemandem, der an einem Sommermorgen plötzlich aufgewacht ist. »Die Schriftstellerei ist eine tote Kunst. Das zwanzigste Jahrhundert steht vor der Tür, und das wird das Jahrhundert der Bilder sein.«
    »Du denkst an die Spielerei, die Louis Jacques Mandé Daguerre erfunden hat?«
    »Ja«, bestätigte er. »Just die Fotografik habe ich im Sinn. Die Literatur ist Phantasie, also Lüge. Der Schriftsteller belügt den Leser, indem er ihn am Gängelband seiner eigenen Vorstellungskraft führt. Er verwirrt ihn mit Doppel- oder Mehrdeutigkeit. Eine Fotografie lügt niemals   …«
    »Wirklich?« Ich bewegte das Schwanzende, was bei uns Katzen manchmal Spott bedeutet. »Sogar eine, die ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen in ziemlich zweideutigem, weit hochgeschobenem Nachtkleid darstellt? Welches in einer ziemlich zweideutigen Pose auf der Chaiselongue liegt?«
    Er wurde rot.
    »Kein Grund, sich zu schämen.« Wieder bewegte ich den Schwanz. »Wir alle lieben das Schöne. Mich, lieber Charles Lutwidge, faszinieren auch schöne junge Katzen. Wenn ich mich so wie du der Fotografie widmen würde, dann würde ich mir auch keine anderen Modelle suchen. Und auf die Schicklichkeit solltest du pfeifen.«
    »Ich habe diese Fotografien nnn…nie jemandem gezeigt.« Unerwartet begann er wieder zu stottern. »Und ich werde sie nnn…nie jemandem zeigen. Obwohl du wissen solltest, dass es einen Mmm…moment gab, da ich mit der Fotografik gewisse Hoffnungen verknüpft habe. Finanzieller Art.«
    Ich grinste. Ich wette, dass er dieses Grinsen nicht verstand. Er wusste nicht, woran ich dachte. Er wusste nicht,was ich gesehen hatte, als ich in den schwarzen Schacht des Kaninchenloches hinabgeflogen war. Denn unter anderem hatte ich gesehen und wusste, dass in hundertvierunddreißig Jahren, im Juli 1996, vier von seinen Fotografien, die ein Mädchen im Alter von elf bis dreizehn Jahren darstellten, alle in romantischer und erregender viktorianischer Unterwäsche, alle in zweideutigen, aber erotisch anzüglichen Posen   – dass diese vier Fotos bei Sotheby’s unter den Hammer kommen und für die Summe von 48500   Pfund Sterling den Besitzer wechseln würden. Eine hübsche Summe für vier Stück Papier, in der Kollographietechnik bearbeitet.
    Doch es hatte keinen Sinn, ihm davon zu erzählen.
    Ich hörte Flügelschlagen. Auf der nächsten Weide landete Edgar. Und begann auffordernd zu krächzen. Überflüssigerweise. Ich wusste selbst, dass es an der Zeit war.
    »Zeit, das Picknick zu beenden.« Ich stand auf. »Leb wohl, Charles.«
    Er zeigte keine Verwunderung. »Kannst du gehen? Deine Wunden   …«
    »Ich bin ein Kater.«
    »Das hätte ich fast vergessen. Du bist der Cheshire-Kater. Werden wir uns noch einmal treffen? Was meinst du?«
    Ich antwortete nicht.
    »Werden wir uns noch einmal treffen?«, wiederholte er.
    »Nevermore«,
sagte Edgar.
     
    Und das wäre, meine Lieben, im Grunde das Ende. Ich werde mich also kurz fassen.
    Als ich ins
Land
zurückkehrte, stand der Nachmittag noch in voller Blüte, denn die Zeit fließt bei uns etwas anders als bei euch. Ich ging jedoch nicht zu Schnapphase und Hutmacher, um mit ihnen die bei der Wette

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