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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sagte Corwin mit Nachdruck, »weißt ein bisschen zu viel, Weib.«
    »Ha, ich werde dich noch mehr überraschen. Was deinePläne gestört hat, war, o Wunder, ausgerechnet Salem. Salem war berühmt, und alle, darunter auch Mary Hargraves, wussten, warum dort beim Verhör Giles Cory zu Tode gefoltert wurde. Das Schuldgeständnis ist die Voraussetzung für den Einzug des Vermögens, denn
confessio est regina probationum
. Giles Cory hatte sein Vermögen den Ehegatten seiner Töchter vermacht, die sich fern in Virginia in Sicherheit befanden. Er ertrug die Torturen, gestand die absurden Verbrechen nicht, die man ihm vorwarf. Er starb auf der Folter, doch das testamentarisch vererbte Vermögen konnte nicht eingezogen werden. Es fehlte das Schuldgeständnis.«
    Corwin bleckte die Zähne zu einem Wolfsgrinsen. »Rede weiter. Ich höre aufmerksam zu.«
    »Obwohl sie geschwächt war, ertrug Mary Hargraves alles, was ihr bei den Verhören angetan wurde. Und starb. Doch du durftest nicht zulassen, dass sich der Kasus von Giles Cory wiederholte. Im Unterschied zu Corys Schwiegersöhnen hattet ihr auf Mary Hargraves’ Erbin Zugriff. Auf ihre Tochter, Janet. Also konnte man auch sie anklagen. Und wieder fehlte es nicht an Zeugen für Besenreiten, für Schwüre auf das Schwarze Buch, Küsse auf den Hintern des Teufels, den Verzehr roter Hostien; wieder fanden sich Puppen, solche, die mit Ziegenhaaren gefüllt waren, und solche, in denen Nadeln steckten; wieder zweifelte irgendeine gottesfürchtige Ehefrau nicht daran, wer ihren Gemahl dauerhaft um seine Manneskraft gebracht hatte. Und Janet Hargraves wurde im Gefängnis von Watertown denselben Prozeduren unterzogen wie ihre Mutter. Hörst du immer noch aufmerksam zu?«
    »Dein ganzes Wissen, Weib«, sagte der Constable langsam, »rührt entgegen dem, was du mir dreist zu suggerieren suchst, nicht von deiner großen und übernatürlichenKlugheit her, keineswegs. Alles, was du weißt, hast du einfach gehört. Das alles hat dir jemand erzählt. Ich frage nicht, wer es war, denn ich weiß es, ich brauche keine Aussagen. Sage mir also nur, wo sich dieser Jemand verbirgt.«
    »Nur«, wiederholte Jemima Tyndall spöttisch. »Weiter nichts? Und wie, fragt sich, wirst du mir diese Aussage abpressen? Wirst du dieselben Methoden anwenden wie bei den Frauen von Salem und Mary Hargraves? Wirst du mir den Schlaf vorenthalten? Wasser? Mich mit dem Versprechen einer Begnadigung betrügen? Wirst du mich die ganze Nacht krummschließen, fast mit den Füßen am Hals, so dass mir am Morgen das Blut in Strömen aus der Nase läuft? Oder vielleicht wirst du mir   – wie Janet Hargraves   – einfach den Fuß mit Hilfe einer verdrehten Schnur verbiegen? Ach, Constable, danke deinem Gott, dass ich dir kein Leid zufügen, dir nicht unmittelbar schaden darf. Denn wahrlich, ich habe große Lust dazu.«
    Corwin ging zu einem Pfosten, nahm einen Hanfstrick vom Haken. »Im Unterschied zu dir, Weib«, sagte er und prüfte mit einem Ruck die Festigkeit der Schnur, »habe ich dazu, dir Leid zuzufügen, sowohl die Möglichkeit als auch Lust. Und je echter und stärker die Lust, desto größer auch das Leid. Im Handumdrehen wirst du mir alles ausplaudern, was du weißt. Und wenn nicht, zermalme ich dir die Gelenke.«
    »Versuch’s.«
    Als er auf sie zusprang, trat sie nur einen kleinen Schritt zur Seite und gab eine kleine Tür in der Hinterwand des Schuppens frei. Und in der Tür stand Ishmael Sassamon. Der Constable erkannte ihn kaum.
    Henry Corwin war ein mutiger Mann. Die Furcht lähmte ihn nicht, dabei hätte beinahe jeden die Furcht ergriffenbeim Anblick Ishmael Sassamons. Der Indianer war nackt, nur um die Lenden hing ihm das zerrissene Hemd, vom Gürtel gehalten. Sein Gesicht, von der Stirn bis zum Kinn, war mit Holzkohle geschwärzt, sein Haar war zu einem Knoten gebunden und mit Adlerfedern geschmückt, die Brust von einer Zeichnung aus Ruß, Lehm und roter Rinde bedeckt.
    Henry Corwin bekam keine Angst. Blitzschnell zog er unter dem Gehrock eine Pistole hervor, spannte den Hahn und feuerte dem Indianer geradezu ins Gesicht. Doch Ishmael Sassamon war nicht minder schnell. Er schlug den Lauf beiseite, die Kugel blieb im Türbalken stecken. In der Wolke aus Rauch und von der Decke herabfallendem Staub verlor der Constable für einen Augenblick die Orientierung. Er fand sie nie wieder.
    Ishmael Sassamon schmetterte ihm den Pokomokon seitlich gegen den Kopf. Der Constable wankte, und der Indianer setzte

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