Etwas Endet, Etwas Beginnt
jetzt, da ich bei dir liege, da ich dich in den Armen halte. In diesem Augenblick gibt es für mich keinen Tristan, keine Legende, kein Schloss Carhaing. Es gibt nur uns beide.«
»Und ich halte dich in den Armen, Morholt. So kommt es mir jedenfalls vor. Aber ich weiß, dass es uns nicht gibt. Es gibt nur die Legende. Was wird aus uns? Was wird morgen geschehen? Welche Entscheidung werden wir treffen müssen? Was wird aus uns?«
»Es wird sein, wie es das Schicksal will. Der Zufall. Diese ganze Legende, von der wir so hartnäckig reden, ist ein Werk des Zufalls. Eine Folge von Zufällen. Wäre nicht das blinde Schicksal, gäbe es vielleicht keine Legende. Damals in Dún Laoghaire, denke nur, Branwen, wenn da nicht das blinde Schicksal … Denn es hätte ja sein können, dass damals nicht ich, sondern er …«
Ich verstummte, von einem plötzlichen Gedanken erschreckt. Von dem Wort, das mir auf der Zunge lag.
»Morholt«, flüsterte Branwen. »Das Schicksal hat mit uns schon getan, was zu tun war. Der Rest kann kein Werk des Zufalls mehr sein. Wir unterliegen dem Zufall nicht mehr. Das, was zu Ende geht, geht auch für uns zu Ende. Denn es kann sein …«
»Was, Branwen?«
»Vielleicht war damals in Dún Laoghaire …«
»Branwen!«
»Vielleicht war deine Wunde tödlich? Vielleicht bin ich … im Sabrina-Meer ertrunken?«
»Branwen! Wir leben doch.«
»Bist du dir sicher? Wie sind wir an diese Küste gekommen, gleichzeitig, du und ich? Erinnerst du dich daran? Hältst du es nicht für möglich, dass uns das Boot ohne Steuer hergebracht hat? Dasselbe, das einst Tristan an die Mündung des Flusses Liffey getrieben hat? Das aus dem Nebel auftauchende Boot aus Avalon, das Boot, das nach Äpfeln riecht? Das Boot, das zu besteigen uns befohlen wurde, weil die Legende ohne uns, ohne unser Zutun nicht enden kann? Weil kein anderer als wir diese Legende beenden muss? Und wenn wir sie beendet haben, werden wir an die Küste zurückkehren, und das Boot ohne Steuer wird uns erwarten, und wir werden hineinsteigen müssen und fortfahren, im Nebel zerfließen? Morholt?«
»Wir leben, Branwen.«
»Bist du dir sicher?«
»Ich berühre dich. Du bist da. Du liegst in meinen Armen. Du bist schön, warm, hast eine glatte Haut. Du riechst wie der Falke, der auf meinem Handschuh sitzt, wenn ich von der Jagd zurückkomme und der Regen in den Birkenblättern rauscht. Du bist da, Branwen.«
»Ich berühre dich, Morholt. Du bist da. Du bist warm, und dein Herz schlägt so stark. Du riechst nach Salz. Du bist da.«
»Also … leben wir, Branwen.«
Sie lächelte. Ich sah es nicht. Ich spürte es an der Bewegung der Lippen, die an meine Schulter gepresst waren.
XI
Später, tief in der Nacht, als ich reglos dalag, der Arm eingeschlafen vom Druck ihres Kopfes, da ich ihren unruhigen Schlaf nicht stören wollte, lauschte ich dem Rauschen des Meeres. Zum ersten Mal im Leben beunruhigte mich dieses Rauschen wie ein schmerzender Zahn, störte mich, ließ mich nicht einschlafen. Ich hatte Angst. Ich fürchtete das Meer. Ich, ein Ire, an der Küste aufgewachsen, von Kindesbeinen an mit dem Tosen der Brandung vertraut. Das Meer rauschte, und in diesem Rauschen war der Gesang des versunkenen Ys zu hören. Ich hörte das gedämpfte Läuten der Glocken von Liones, das von den Wogen verschlungen wurde. Und noch später, schon im Traum, sah ich das von Wellen mit Schaumkämmen umhergeworfene Boot ohne Steuer, ein Boot mit hohem, zurückgebogenem Bug, der Mast mit Girlanden geschmückt.
Es roch nach Äpfeln.
XII
»Gute Branwen …« Der Page rang um Atem. »Frau Iseult ruft dich in die Kammer von Sir Tristan. Dich und Sir Morholt von Ulster. Beeil dich, Herrin.«
»Was ist geschehen? Ist Tristan …?«
»Nein, Herrin, das ist es nicht. Aber …«
»Rede, Junge.«
»Ein Schiff von Tintagil … Sir Caherdin kehrt zurück. Ein Bote vom Vorgebirge ist gekommen. Man sieht es schon …«
»Welche Farbe hat das Segel?«
»Das ist nicht zu sehen. Das Schiff ist zu weit entfernt. Hinter dem Vorgebirge.«
Die Sonne ging auf.
Als wir eintraten, stand Iseult Weißhand mit dem Rücken zum Fenster, das halb geöffnet war, von Lichtfunken erhellt, die auf den Scheiben in den Bleirahmen tanzten. Sie strahlte in einem unnatürlichen, nebelhaften, reflektierten Licht.
Tristan, das Gesicht glänzend vor Schweiß, atmete schwer, stoßweise, arhythmisch. Seine Augen waren geschlossen.
Iseult schaute uns an. Ihr Gesicht
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