Etwas Endet, Etwas Beginnt
geraten. Einer Liebe, die sie selbst unglücklich gemacht hat, für andere aber einfach mörderisch war. Denn auch ich … Ich habe eins auf den Kopf bekommen, obwohl ich diese Liebe nur gestreift habe, ohne überhaupt von ihr zu wissen. In Dún Laoghaire hat Tristan mich besiegt, obwohl ich stärker und erfahrener war. Denn er kämpfte damals um Iseult, um seine Liebe. Ich wusste das nicht, kriegte eins auf den Schädel, und wie du verdanke ich mein Leben denen, die in der Nähe waren und es für angebracht hielten, zu Hilfe zu kommen. Zu retten. Aus dem bodenlosen Abgrund herauszuziehen.Und so wurden wir gerettet, du und ich. Wir leben, und zum Teufel mit dem Rest.«
Sie schob mir einen Arm unter den Kopf, fuhr mir mit der Hand durch die Haare, berührte die Verdickung, die vom Scheitel zum Ohr verlief. Ich verzog ein wenig das Gesicht. Die Haare auf der Narbe wachsen in sonderbare Richtungen, und die Berührung bereitet mir manchmal unerträglichen Schmerz.
»Der Strudel ihrer Liebe«, flüsterte sie. »Der Strudel ihrer Liebe hat uns eingesogen. Dich und mich. Aber sind wir wirklich gerettet worden? Und wenn wir zusammen mit ihnen im Abgrund versinken? Was erwartet uns, Morholt? Das Meer? Das Boot ohne Steuer?«
»Branwen …«
»Liebe mich, Morholt. Das Meer erinnert sich an uns, hörst du? Aber solange wir hier sind, solange die Legende noch nicht zu Ende ist …«
»Branwen …«
»Liebe mich, Morholt.«
Ich bemühte mich, einfühlsam zu sein. Feinfühlig. Ich bemühte mich, zugleich Tristan, Marke und alle unkomplizierten Ritter in Tintagil zu sein. Von dem Knäuel an Wünschen, das ich in mir hatte, ließ ich einen übrig – ich wünschte, sie möge vergessen. Alles vergessen. Ich bemühte mich, dass sie sich in meinen Armen nur an mich erinnerte. Ich bemühte mich. Ob ihr es glaubt oder nicht.
Vergebens.
So kam es mir jedenfalls vor.
IX
Keine Spur von einem Segel. Das Meer …
Das Meer hat die Farbe von Branwens Augen.
Ich gehe in der Kammer umher wie ein Wolf im Käfig. Mein Herz hämmert, als wolle es die Rippen zermalmen. Etwas drückt mir Zwerchfell und Kehle zusammen, etwas Seltsames, das in mir sitzt. Ich werfe mich angezogen aufs Bett. Zum Teufel. Ich schließe die Augen und sehe goldene Funken. Ich rieche Äpfel. Branwen. Der Geruch der Federn des Falken, der auf meiner Hand sitzt, wenn ich von der Jagd zurückkehre. Goldene Funken. Ich sehe ihr Gesicht. Ich sehe die Krümmung der Wange, die kleine Stupsnase. Die Rundung der Schulter. Ich sehe sie … Ich trage sie …
Ich trage sie an der Innenseite der Lider.
X
»Morholt …«
»Du schläfst nicht?«
»Nein. Ich kann nicht … Das Meer lässt mich nicht einschlafen.«
»Ich bin bei dir, Branwen.«
»Wie lange noch? Wie viel Zeit bleibt uns?«
»Branwen …«
»Morgen … Morgen trifft das Schiff aus Tintagil ein.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es.«
Schweigen.
»Morholt?«
»Ja, Branwen.«
»Wir sind gebunden. Auf dieses Rad der Folter geflochten, mit einer Kette festgemacht, in den Strudel eingesogen.Morgen, hier in Carhaing, wird die Kette brechen. Ich wusste es in dem Augenblick, da ich dich am Ufer getroffen habe. Als sich erwies, dass du lebst. Als sich erwies, dass auch ich lebe. Aber wir leben nicht für uns selbst, nicht mehr, wir sind nur ein Teilchen vom Schicksal Tristans von Liones und der Goldhaarigen Iseult von der Grünen Insel. Und hier, im Schloss Carhaing, haben wir einander nur gefunden, um uns sogleich zu verlieren. Das Einzige, was uns verbindet, ist die Legende von der Liebe, die nicht unsere Legende ist. In der wir uns unverständliche Rollen spielen. Die diese Rollen vielleicht nicht einmal erwähnen oder sie verfälschen und verunstalten wird, uns Worte in den Mund legen wird, die wir nicht gesagt, uns Taten zuschreiben, die wir nicht getan haben. Es gibt uns nicht, Morholt. Es gibt die Legende, die zu Ende geht.«
»Nein, Branwen«, sagte ich und bemühte mich, meine Stimme fest, sicher und entschlossen klingen zu lassen. »So darfst du nicht reden. Die Trauer, nichts anderes, diktiert dir solche Worte. Denn wahr ist, dass Tristan von Liones im Sterben liegt, und selbst wenn die Goldhaarige auf dem Schiff ist, das aus Tintagil kommt, fürchte ich, kann sie zu spät kommen. Und obwohl dieser Gedanke auch mich traurig macht, werde ich nie der Behauptung zustimmen, dass seine Legende das Einzige sei, was uns verbindet. Niemals werde ich dem zustimmen,
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