Etwas ist faul
nicht nach – wie viel? – neun oder zehn Jahren. Er warf ihr einen schnellen Blick zu. Sie war noch immer ein sehr gut aussehendes Mädchen, aber das, was er seinerzeit so anziehend fand, hatte sie längst verloren: ihr taufrisches unberührtes jugendliches Aussehen. Vielleicht war ihr Gesicht jetzt ausdrucksvoller geworden – ein jüngerer Mann hätte das sicher gefunden –, aber Sir Edward war jetzt weit entfernt von der Welle der Wärme und Zuneigung, die ihn damals am Ende jener Atlantikreise überwältigt hatte.
Auf seinem Gesicht spiegelte sich Vorsicht. Er sagte förmlich: »Gewiss werde ich alles für Sie tun, was in meiner Macht steht – obwohl ich bezweifle, dass ich jetzt noch sehr viel für irgendjemanden tun kann.«
Offensichtlich bemerkte sie nicht, dass er seinen Rückzug vorbereitete. Sie gehörte zu den Menschen, die immer nur eine Idee verfolgen. Und in diesem Augenblick sah sie nur ihre eigene Zwangslage. Sir Edwards Bereitschaft, ihr zu helfen, setzte sie als selbstverständlich voraus.
»Wir sind in einer schrecklichen Bedrängnis, Sir Edward.«
»Wir? Sind Sie verheiratet?«
»Nein, ich meine meinen Bruder und mich, und natürlich auch William und Emily, in diesem Fall. Aber ich muss Ihnen das genau erklären. Ich habe… ich hatte eine Tante, Miss Crabtree. Vielleicht haben Sie darüber in der Zeitung gelesen? Es war schrecklich. Sie wurde getötet – ermordet.«
»Ach ja.« Sir Edwards Gesicht hellte sich auf. Es war interessant.
»Vor einem Monat, nicht wahr?«
Sie nickte. »Nicht ganz. Vor drei Wochen.«
»Ja, ich erinnere mich. Sie bekam einen Schlag über den Kopf, in ihrem eigenen Haus. Den Täter hat man noch nicht gefasst.«
Magdalena Vaughan nickte wieder. »Nein, man hat den Mann nicht gefasst. Ich glaube, dass man ihn niemals fassen wird, denn es gibt keinen fremden Täter.«
»Was sagen Sie da?«
»Ja, es ist schrecklich. In den Zeitungen hat darüber nichts gestanden. Aber das ist es, was die Polizei vermutet. Sie weiß, dass niemand an jenem Abend das Haus betreten hat.«
»Sie meinen…«
»… dass es einer von uns vieren gewesen ist. Es muss so gewesen sein. Die Polizei weiß nicht wer, und wir wissen es auch nicht. Wir wissen es einfach nicht! Und so sitzen wir jeden Tag herum und starren uns gegenseitig misstrauisch und verstohlen an. Ach, wenn es doch ein Fremder gewesen wäre…«
Sir Edward blickte Magdalena mit wachsendem Interesse an. »Sie wollen sagen, dass die Familienmitglieder unter Verdacht stehen?«
»Ja. Die Polizei hat das natürlich nicht behauptet. Die Beamten waren sehr nett und höflich. Aber sie haben das Haus auf den Kopf gestellt, sie haben uns alle und Martha immer und immer wieder verhört… Und weil sie nicht wissen, wer es war, warten sie ab. Ich habe Angst, eine schreckliche Angst!«
»Mein liebes Kind, jetzt übertreiben Sie wohl ein bisschen.«
»Oh, nein. Es ist einer von uns vieren – es muss so sein.«
»Wer sind die vier, von denen Sie sprechen?«
Magdalena richtete sich auf und sprach etwas gefasster. »Das bin ich und mein Zwillingsbruder Matthew. Tante Lily war unsere Großtante, Großmutters Schwester. Wir lebten bei ihr, seitdem wir vierzehn waren. Und dann ist da noch William Crabtree. Er ist Tante Lilys Neffe, der Sohn ihres Bruders. Er lebte gleichfalls bei ihr, zusammen mit seiner Frau Emily.«
»Hat sie ihre Verwandten unterstützt?«
»Mehr oder weniger. William hat etwas eigenes Geld. Er ist nicht gesund und kann nicht arbeiten. Er ist ein ruhiger, in sich gekehrter Mensch. Ich bin sicher, dass er unmöglich… Ach, es ist schrecklich, daran auch nur zu denken!«
»Ich habe die ganze Angelegenheit noch immer nicht recht verstanden. Vielleicht können Sie mir die genauen Einzelheiten schildern, falls es Sie nicht zu sehr aufregt.«
»Oh, nein, ich will Ihnen gerne alles erzählen. Es ist alles noch so deutlich in meinem Gedächtnis. Wir hatten zusammen Tee getrunken, danach ging jeder seinen persönlichen Beschäftigungen nach. Ich hatte etwas zu nähen, Matthew tippte einen Artikel, denn er arbeitet nebenbei als Journalist, und William beschäftigte sich mit seinen Briefmarken. Emily war nicht zum Tee erschienen. Sie hatte eine Kopfschmerztablette eingenommen und sich hingelegt. Wir waren also alle irgendwie beschäftigt. Und als Martha um halb acht ins Wohnzimmer kam, um für das Abendessen zu decken, da lag Tante Lily da – tot. Ihr Kopf war ganz zertrümmert.«
»Die Tatwaffe hat man gefunden,
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