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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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angelangt waren, gaben sie einander den Gutenachtkuß, und nach einigen Abschiedsworten an Charles, die vielleicht ein wenig kalt klangen, aber der Tochter sicher aus heißem Herzen kamen, betraten sie ihre Stuben.
    »Hier sind Sie also in Ihrem Zimmer, lieber Neffe«, sagte Grandet zu Charles, ihm die Tür öffnend. »Wenn Sie nötig haben sollten, hinauszugehen, so rufen Sie Nanon. Ohne ihre Begleitung – alle Wetter! Der Hund würde Sie niederbeißen, ohne einen Mucks zu geben. Also gute Nacht, schlafen Sie wohl! – Ha, ha! Die Damen haben Ihnen ein Feuer gemacht«, setzte er hinzu.
    In diesem Augenblick erschien die Große Nanon mit einem Holzkohlenofen.
    »Da ist wieder eine!« sagte Grandet. »Haltet ihr meinen Neffen für eine Wöchnerin? Wirst du wohl mit deinem Glühbecken abziehen, Nanon!«
    »Aber, Monsieur, die Leintücher sind feucht, und der junge Monsieur ist wirklich so zart wie eine Frau.«
    »Also meinetwegen, da du dir's in den Kopf gesetzt hast«, sagte Grandet, sie an den Schultern vorwärtsschiebend; »aber sieh dich vor, daß du nicht einen Brand verursachst.«
    Dann stieg der Geizhals mit unverständlichem Gebrumm die Treppe hinunter.
    Charles blieb verdutzt inmitten seiner Koffer stehen. Er warf einen Blick auf die Wände der Mansarde, die mit billiger gelbgeblümter Tapete beklebt waren, auf den Kamin aus kanneliertem Kalkstein, den man nicht ansehen konnte, ohne zu frösteln, auf die gelblackierten Rohrstühle, auf den riesigen Nachttisch, auf dem ein Kavalleriesergeant ganz gut hätte seine Volten reiten können, auf den magern Teppichstreifen, der vor einem Bett lag, dessen mottenzerfressene Vorhänge zitterten, als wollten sie jeden Augenblick herunterfallen. Dann sah er ernst zur Großen Nanon hinüber und sagte: »Hören Sie, liebes Kind, bin ich hier wohl bei Monsieur Grandet, dem früheren Bürgermeister von Saumur, Bruder des Monsieur Grandet in Paris?«
    »Jawohl, Monsieur! Bei dem nettesten, freundlichsten Menschen, ja bei dem allerbesten Menschen, den es geben kann! Soll ich Ihnen helfen, die Koffer auszupacken?«
    »Wahrhaftig, alter Bursche, das wäre ganz annehmbar. Haben Sie nicht bei der Marine der kaiserlichen Garde gedient?«
    »Oh, oh, oh, oh!« sagte Nanon, »was ist das, Marine? Ist es eingesalzen, fährt es auf dem Wasser?«
    »Hier, holen Sie mir aus dem Koffer meinen Schlafrock. Hier ist der Schlüssel.«
    Nanon war ganz hingerissen von diesem grünseidenen Schlafrock mit goldgewirkten Blumen.
    »Das werden Sie zum Schlafen anziehen?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Heilige Jungfrau! Welch schöne Altardecke könnte das abgeben! Aber, mein lieber, hübscher junger Monsieur, geben Sie doch das der Kirche! Sie würden damit Ihre Seele retten, so aber werden Sie sie verlieren. Oh! wie hübsch Sie so aussehen! Ich will doch Mademoiselle holen, damit sie Sie so sieht.«
    »Hören Sie mal, Nanon – so heißen Sie ja wohl –, halten Sie jetzt den Mund! Lassen Sie mich nun schlafen. Ich werde meine Sachen morgen auspacken. Und wenn Ihnen mein Rock so gut gefällt, so sollen Sie Gelegenheit haben, Ihre Seele zu retten. Ich bin ein guter Christ; wenn ich wieder abreise, so sollen Sie ihn zum Geschenk erhalten, und dann können Sie damit machen, was Sie wollen.«
    Nanon blieb wie angewurzelt stehen und starrte Charles an, sie konnte seinen Worten nicht glauben.
    »Mir diesen ganzen Staat schenken?« sagte sie im Abgehen.
    »Er träumt schon, der junge Monsieur. Gute Nacht!«
    »Gute Nacht, Nanon!«
    ›Was soll ich eigentlich hier?‹ fragte sich Charles im Einschlafen. ›Mein Vater ist kein Tropf; meine Reise muß irgendeine Bewandtnis haben. Still! Ernste Geschäfte auf morgen! sagte irgend so ein griechischer Esel.‹
    ›Heilige Jungfrau! Wie hübsch er ist, mein Cousin!‹ unterbrach sich Eugenie in ihrem Nachtgebet, das an diesem Abend unbeendigt blieb.
    Madame Grandet dachte gar nichts, als sie schlafen ging. Durch die Tür, die ihr Zimmer mit dem des Geizhalses verband, hörte sie ihn drüben unablässig auf und ab gehen. Wie alle schüchternen Frauen hatte sie den Charakter ihres Eheherrn genau studiert und kannte alle seine Schwankungen. So wie die Seemöwe den Sturm vorausempfindet, ahnte sie an allerlei kaum merklichen Zeichen den Orkan voraus, der in Grandet tobte, und aus Vorsicht verhielt sie sich nun totenstill. Grandet blickte auf die Tür, die in sein Geheimkabinett führte und die innen mit Eisenblech beschlagen war, und dachte: ›Welch verrückte Idee meines

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