Eulen
sagte Roy.
Es war auch eine Eule, Roy war sich ganz sicher. Blöderweise musste der Vogel gerade den Kopf weggedreht haben, als Fischfinger abdrückte.
»Sieht mir eher aus wie ein Lehmklumpen«, sagte Chuck Muckle. Er hielt die Kamera hoch, damit die Zuschauer in der ersten Reihe das Display sehen konnten. »Der Junge hat wohl viel Fantasie, was?«, sagte er schneidend. »Wenn das eine Eule ist, bin ich ein Weißkopfadler.«
»Aber das ist eine Eule«, beharrte Roy. »Und dieses Foto ist gestern Abend hier auf dem Grundstück aufgenommen worden.«
»Das beweis erst mal!«, spottete Chuck Muckle.
Roy wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Einen Beweis hatte er nicht.
Die Kamera seiner Mutter wurde herumgereicht, und als sie zurückkam, wusste Roy, dass die meisten Leute sich nicht wirklich sicher waren, ob sie nun einen Vogel gesehen hatten. Nicht einmal Beatrice war sich sicher; sie drehte die Kamera einmal ganz herum, um irgendetwas zu entdecken, was eindeutig auf eine Eule schließen ließ.
Roy war am Boden zerstört – die Bilder, die Fischfinger aufgenommen hatte, waren nutzlos. Ein so verschwommenes Beweisstück würde niemals ausreichen, um den Bau des Restaurants zu verbieten.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte Mr. Muckle durch das Mikrofon zu den Zuschauern, »und vielen Dank auch für Ihre Geduld während dieser ziemlich … rücksichtslosen Unterbrechung. Meine lieben Pfannkuchenfans, wir sehen uns alle wieder, und zwar im nächsten Frühjahr, zu einem herzhaften Frühstück. Damit ist die heutige Veranstaltung beendet.«
Die Schüler von der Trace Middle School schauten starr auf Beatrice und Roy, die aber auch nicht weiterwussten. Roy spürte selbst, wie er nach dieser Niederlage mit hängenden Schultern dastand, und Beatrice schaute böse und resigniert zugleich.
Auf einmal erhob sich eine junge Stimme: »Halt! Es ist noch nicht vorbei. Noch längst nicht!«
Aber dieses Mal war es nicht Roy.
»O je«, sagte Beatrice und schaute auf.
Ein Mädchen weiter hinten in der Menge schrie auf, und alles fuhr herum, um zu sehen, was los war. Auf den ersten Blick konnte man das, was sich da am Boden zeigte, für einen Ball halten, aber es war … der Kopf eines Jungen.
Sein stumpfes Haar war blond, sein Gesicht karamellbraun, die Augen waren weit aufgerissen und schauten starr. Von seinen Lippen führte eine Drachenschnur zu einem großen Blecheimer in der Nähe.
Sofort kamen die Prominenten aus der Menge herbeigeeilt. Beatrice und Roy folgten ihnen auf dem Fuß. Alles blieb stehen und starrte den Kopf an, der aus der Erde ragte.
»Was ist denn jetzt los?«, stöhnte der Wachmann.
Chuck Muckle donnerte: »Soll das ein schlechter Scherz sein?«
»Großer Gott«, rief der Bürgermeister, »ist er tot?«
Aber der Junge war alles andere als tot. Er grinste zu seiner Stiefschwester hoch und zwinkerte Roy verschwörerisch zu. Irgendwie hatte er es geschafft, seinen mageren Körper in die Öffnung eines Eulenbaus zu zwängen, so dass nur noch sein Kopf herausschaute.
»Hi, Mama Paula!«, sagte er.
Die Schauspielerin trat zögernd näher. Ihre Perücke war leicht verrutscht und ihr Make-up löste sich wegen der hohen Luftfeuchtigkeit langsam auf.
»Was gibt’s?«, fragte sie unsicher.
»Wenn Sie die Eulen begraben«, sagte Fischfinger, »dann müssen Sie mich mitbegraben.«
»Aber nicht doch – ich liebe Vögel! Alle Vögel!«
»Officer Delinko? Wo sind Sie?« Chuck Muckle winkte den Polizisten heran. »Verhaften Sie diesen unverschämten kleinen Lümmel, sofort!«
»Weswegen denn?«
»Wegen unerlaubten Betretens eines privaten Grundstücks natürlich, ist doch klar.«
»Aber Ihr Unternehmen hat die Öffentlichkeit zu dieser Veranstaltung eingeladen«, bemerkte Officer Delinko. »Wenn ich den Jungen festnehme, muss ich alle anderen auf dem Grundstück auch verhaften.«
Roy sah, wie eine Ader an Mr. Muckles Hals anschwoll und zu pulsieren begann wie ein Gartenschlauch. »Gleich morgen früh rufe ich den Polizeipräsidenten an«, zischte Mr. Muckle dem Polizisten leise zu. »Sie haben also die ganze Nacht Zeit, sich eine gute Entschuldigung zu überlegen.«
Dann blickte er matt auf den verzweifelten Wachmann. »Mr. Branitt, bitte … graben Sie dieses … dieses Unkraut aus.«
»Das würde ich Ihnen nicht raten«, zischte Beatrice’ Stiefbruder warnend. Sein Mund blieb dabei fast geschlossen und den Faden ließ er nicht los.
»Ach, wirklich? Und warum nicht?«,
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