Eulen
Mal saß sie auf dem Lenker und er trat in die Pedale. Die Kamera hatte er sorgfältig im Rucksack verstaut. Beide waren total überrascht, als sie sahen, dass sie nicht die Einzigen waren – der sommersprossige Junge war schon da, das rothaarige Mädchen auch und mindestens der halbe Geschichtskurs von Mr. Ryan. Etliche hatten ihre Eltern mitgebracht.
»Sag mal, was hast du denen gestern eigentlich erzählt?«, fragte Beatrice. »Hast du ihnen kostenlose Pfannkuchen versprochen, oder was?«
»Ich hab nur von den Eulen erzählt, das war alles«, sagte Roy.
Die nächste freudige Überraschung war, dass ein Kleinbus der Sportmannschaften ihrer Schule vorfuhr und die Spielerinnen aus Beatrice’ Fußballmannschaft heraushüpften. Einige von ihnen hatten Plakate dabei.
Roy grinste Beatrice an, aber die zuckte nur mit den Achseln, als wäre nichts dabei. Beide suchten die immer größer werdende Menge ab, doch von Beatrice’ flüchtigem Stiefbruder war nichts zu sehen.
Auch von den Eulen zeigte sich keine, aber das wunderte Roy nicht. Bei so viel Lärm und Unruhe lag es nahe, dass die Vögel lieber unter der Erde blieben, wo es dunkel und sicher war. Roy wusste, dass die Pfannkuchenleute sich genau darauf verließen: dass die Eulen viel zu viel Angst haben würden, um aus ihren Löchern zu kommen.
Um Viertel nach zwölf schwang die Tür des Bauwagens auf. Als Erster kam ein Polizist heraus und Roy erkannte ihn gleich: Es war Officer Delinko. Ihm folgten der glatzköpfige Wachmann, der immer so schlecht gelaunt war, und schließlich ein hochnäsig aussehender Typ mit silbrigem Haar und einer lächerlichen Sonnenbrille.
Ganz zum Schluss kam Mama Paula, die aus der Fernsehwerbung. Sie trug eine schimmernde graue Perücke, eine Brille mit einem Drahtgestell und eine Baumwollschürze. Einige Leute klatschten zur Begrüßung und sie winkte etwas lahm.
Die vier gingen gemeinsam zu einer rechteckigen Freifläche, die mitten auf dem Grundstück mit Seilen abgetrennt worden war. Der Silberhaarige bekam ein Mikrofon gereicht und stellte sich vor als Chuck E. Muckle, Stellvertretender Direktor in der Hauptverwaltung von Mama Paula. Er nahm sich ungeheuer wichtig, das sah Roy gleich.
Ohne den Wachmann und den Polizisten weiter zu beachten, ging Mr. Muckle gleich dazu über, einige der lokalen Größen vorzustellen – den Bürgermeister, einen Abgeordneten des Gemeinderats und den Präsidenten der Handelskammer.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie stolz und entzückt wir sind, dass unser 469. Familienrestaurant hier in Coconut Cove entstehen wird«, sagte Mr. Muckle. »Herr Bürgermeister, Herr Abgeordneter, und auch Sie, alle diese wunderbaren Menschen, die heute, an diesem prachtvollen Tag, unserer Einladung gefolgt sind … Ich bin gekommen, um Ihnen zu versprechen, dass Mama Paula immer eine gute Bürgerin dieses Ortes sein wird und Ihnen allen eine gute Freundin, eine gute Nachbarin.«
»Es sei denn, man ist eine Eule!«, sagte Roy.
Aber das hörte Mr. Muckle nicht. Er winkte den Schülern zu und sagte: »Ich bin ganz besonders begeistert, so viele sympathische junge Menschen hier zu sehen. Dies ist ein historischer Moment für eure Stadt – unsere Stadt, wie ich vielleicht sagen darf-, und wir freuen uns, dass ihr euch kurz von der Schule freimachen konntet, um hier mit uns zu feiern.«
Er schwieg einen Moment und lachte etwas künstlich. »Aber ich denke, die meisten von euch werden wir wiedersehen, sobald das Restaurant eröffnet hat und Mama Paula eifrig in der Küche wirkt. Sagt mal – wer von euch isst denn gerne Süßholzpfannkuchen?«
Es war ein peinlicher Moment. Nur der Bürgermeister und der Abgeordnete hoben ihre Hände. Die Mädchen aus der Fußballmannschaft hielten ihre Plakate mit der leeren Seite nach vorn und warteten darauf, dass Beatrice ihnen ein Zeichen gab.
Mr. Muckle kicherte nervös. »Mama Paula, meine Liebe, ich denke, es ist so weit. Sollen wir zur Tat schreiten?«
Alle stellten sich für die Fernsehkamera und den Pressefotografen nebeneinander in Positur – der Stellvertretende Direktor des Unternehmens, der Bürgermeister, Mama Paula, der Abgeordnete Mr. Grandy und der Chef der Handelskammer.
Goldlackierte Schaufeln wurden ausgeteilt, und auf ein Zeichen von Mr. Muckle hin beugten sich die Promis freundlich lächelnd vor und hoben eine Schaufel voll Sand aus. Wie auf Kommando brach mitten in der Menge ein Grüppchen städtischer Angestellter in Jubelrufe aus und fing an
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