Eulen
Verstand.
»Was haben Sie vor?«, fragte Roy, obwohl er schon wusste, dass der Mann ihm nicht ruhig und geduldig antworten würde.
»Ich hab gesagt, du sollst mir aus dem Weg gehen! Ich buddel den Zwerg jetzt selber aus.«
Beatrice Leep schoss nach vorn, stellte sich neben Roy und nahm ihn bei der Hand. Ein erschrockenes Gemurmel ging durch die Menge.
»Ach, ist es nicht niedlich! Wie Romeo und Julia«, höhnte Chuck Muckle. Und mit leiser Stimme fügte er hinzu: »Das Spiel ist aus, Kinder. Ich zähl jetzt bis drei, dann fang ich an zu graben. Oder noch besser – vielleicht sag ich unserem Glatzkopf hier, er soll mal den Bulldozer anwerfen?«
Der Wachmann guckte sauer. »Ich denk, ich bin gefeuert.«
Aus dem Nichts tauchte jemand neben Roy auf und nahm seine linke Hand – es war Garrett, das Skateboard unter dem Arm. Drei seiner Skaterkumpel standen Hand in Hand neben ihm.
»Was macht ihr denn hier, Jungs?«, fragte Roy.
»Schule schwänzen«, antwortete Garrett fröhlich. »Das hier ist echt viel spannender, Mann.«
Als Roy zur anderen Seite schaute, sah er, dass neben Beatrice inzwischen die gesamte Fußballmannschaft stand. Alle hatten sich untergehakt und bildeten eine Menschenkette. Es waren lauter große, kräftige Mädchen, die sich von Chuck Muckles großmäuligen Drohungen nicht im Geringsten einschüchtern ließen.
Das begriff auch Chuck Muckle. »Hört auf mit diesen Dummheiten!«, flehte er. »Es ist wirklich nicht nötig, jetzt so eine hässliche Szene zu machen.«
Total erstaunt beobachtete Roy, wie sich immer mehr Kinder aus der Menge lösten und einander an den Händen fassten, um eine menschliche Barrikade um Beatrice’ eingebuddelten Stiefbruder herum zu bilden.
Keiner der Eltern tat etwas, um sie daran zu hindern.
Der Kameramann verkündete, dass die Demonstration soeben live in den Mittagsnachrichten übertragen werde, und der Fotograf von der Zeitung drängte sich heran, um eine Nahaufnahme von Mr. Muckle zu machen. Der war inzwischen schweißgebadet und sah mit einem Mal ganz alt aus, ein geschlagener alter Mann. Er stützte sich auf die Schaufel, als wäre sie ein Stock.
»Habt ihr mich nicht gehört, Leute?«, rief er heiser. »Die Feier ist vorbei! Schluss! Aus! Ihr könnt alle nach Hause gehen.«
Der Bürgermeister, der Abgeordnete und der Mann von der Handelskammer gingen unauffällig zu ihrer Limousine zurück, während Leroy Branitt zu seinem Bauwagen stapfte, um sich ein kaltes Bier zu genehmigen. Officer Delinko lehnte am Zaun und schrieb an seinem Bericht.
Roy fühlte sich merkwürdig benommen, aber gleichzeitig war er ganz gelassen.
Eines der Mädchen stimmte den berühmten alten Folksong an über das Land, das allen gehört – This Land is Your Land. Es war Beatrice, ausgerechnet, und ihre Stimme war überraschend weich und schön. Nicht lange, und die anderen Kinder sangen alle mit. Roy schloss die Augen und fühlte sich, als segelte er auf einer sonnenbeschienen Wolke dahin.
»’tschuldigung, Herzchen, ist hier noch ’ne Lücke?«
Roy musste erst blinzeln, bis er die Augen wieder richtig aufbekam, dann grinste er breit.
»Aber immer doch, Ma’am«, sagte er.
Mama Paula schlüpfte zwischen ihm und Garrett in den Kreis. Ihre Stimme war zwar rau, aber die Melodie bekam sie problemlos hin.
Die Demo dauerte noch eine Stunde. Zwei weitere Fernsehteams tauchten auf, zusammen mit mehreren Streifenwagen, die Officer Delinko zur Verstärkung herbeitelefoniert hatte.
Chuck Muckle redete auf die neu angekommenen Vertreter der Staatsgewalt ein, sie sollten die Demonstranten festnehmen wegen unerlaubten Betretens eines Grundstücks, Schuleschwänzens und öffentlicher Ruhestörung. Das Ansinnen wurde jedoch entschieden zurückgewiesen. Einer der Sergeants teilte Mr. Muckle mit, dass es für das Image des Amtes für öffentliche Sicherheit nicht gerade gut sei, wenn Polizisten einer Gruppe von Mittelschülern Handschellen anlegten.
Die Situation blieb auch weitgehend ruhig – bis zum spektakulären Auftritt von Lonna Leep, die ihren Sohn in den Fernsehnachrichten gesehen hatte. Sie hatte sich aufgebretzelt, als ob sie zu einer Party wollte, und hatte überhaupt keine Hemmungen, ihre Nase vor jede Kamera zu halten. Roy bekam mit, wie sie einem Reporter erzählte, wie stolz sie auf ihren Sohn sei, der seine Freiheit riskiere, um den armen, wehrlosen Eulen zu helfen.
»Mein mutiger kleiner Kämpfer!«, krähte sie. Roy fand es ziemlich peinlich.
Mit spitzen
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