Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
Und außerdem willst du doch morgen beim Hauptmann Zadetzki punkten, oder?«
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Curly markierte die Fehler mit einem grünen Filzstift und bestand darauf, mir jede Aufgabe haarklein begreiflich zu machen, bis ich wirklich alles verstanden hatte und ihr die Rechenwege verständlich erklären konnte. Zu meiner Überraschung stellte sich bei mir eine Sicherheit ein, die ich noch vor ein paar Stunden für unmöglich gehalten hätte. Dieses beruhigende Gefühlwar Balsam für meine Seele nach diesem Tag. »Ich glaube, ich habe es jetzt verstanden«, sagte ich erstaunt über mich.
»Habe ich dir doch gesagt«, triumphierte Curly.
»Und die Zeit ist so schnell vergangen. Mensch, wir haben gleich schon 22 Uhr. Dann wird Nik bald da sein.« Ich starrte ungläubig auf meine Uhr. »Wartest du noch mit mir vor eurer Haustür auf ihn?«
Wenig später standen wir vor der schweren Holztür und redeten über dies und das, als Nik mit
Sid
bald um die Ecke bog.
Laute Punkmusik schlug mir beim Öffnen der Autotür entgegen. »Mach die Musik bitte etwas leiser!«, schrie ich ihn über dröhnende Gitarrenakkorde an. »Da kriegt man ja einen Hörsturz!«
»Ja, ja … ist ja okay.« Beschwichtigend hob er die Hände und stellte die Musik leiser. »So besser, Schwesterchen? Hey, Curly.«
Ich nickte. »Danke nochmal für deine Hilfe, Curly. Alleine hätte ich das nicht geschafft. Ich glaube, ich kann heute Nacht ruhig schlafen.«
»In dir schlummert eben doch ein verborgenes Mathetalent.« Mit gespielter Theatralik rollte sie ihre Augen gegen den Himmel.
»Und mir wolltest du nie glauben.«
»Ich glaube dir grundsätzlich alles – seit heute«, lachte ich.
»Dann bis morgen!« Ich winkte ihr und stieg in den Mustang.
Auf der Fahrt nach Hause war ich schweigsam. Nik musterte mich aus den Augenwinkeln. »Willst du darüber reden?«
Es war absurd zu glauben, dass ich meinem Zwillingsbruder etwas verheimlichen konnte.
»Mhm …«, brummte ich und seufzte.
»Du brauchst nichts zu sagen. Ich weiß es schon.«
Nik hatte Adriana im Restaurant getroffen. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen und Nik in blumigen Ausführungen alles über den nachmittäglichen Zwischenfall berichtet.
»Pascal ist echt ein Idiot.« Nik schüttelte den Kopf.
»Mhm …«, machte ich wieder. »Ich habe auf der Toilette ein blondes Mädchen getroffen. Sie hat ihren Freundinnen ganz stolz Pascals Handynummer präsentiert.«
»Autsch. Der
King of Currywurst
at his best«, Nik zog zischend Luft zwischen seine Zähne ein. »Was hast du jetzt vor?«
Ich zuckte leicht zusammen. Vor dieser Frage hatte ich mich insgeheim gefürchtet. Ich wusste selber nicht, was ich jetzt vorhatte. Ich wusste nur, dass es nicht mehr so war wie sonst und es auch nie wieder so werden konnte. Ich drehte meinen Kopf zu ihm und versuchte möglichst gefasst zu klingen. »Ich weiß nicht«, presste ich heraus. Meine Stimme bebte verdächtig, als wir in unsere Straße einbogen. Das bedrückende Gefühl kehrte wieder zurück und ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Die Zweifel an meiner Beziehung zu Pascal nahmen immer weiter zu. Wir hielten vor unserem roten Backsteinhaus mit dem Reetdach.
»Wenn du reden willst, sag Bescheid. Ich bin da.« Nik legte mir eine Hand auf die Schulter.
Ich nickte und war dankbar, dass er mich nicht weiter mit dem Thema löcherte.
In der Garage auf dem Nachbargrundstück brannte noch Licht. Gleichmäßige Schleifgeräusche brachen durch die abendliche Stille. Viola schien noch bei der Arbeit zu sein.
Ich räusperte mich. »Ich geh nochmal eben rüber zu Vio.« Ich deutete mit dem Kopf in die Richtung der Garage. »Sag Mam, dass es nicht lange dauert.«
»OK mach ich. Und sag Vio
Gut Board
von mir«, Nik grinste schief und lief dann zum Hauseingang.
Als ich mich der Garage näherte, wurde das Schleifgeräusch lauter. Vio stand in ihrer Jeanslatzhose im grellen Neonlicht und bearbeitete einen circa 30 Zentimeter breiten und ungefähr drei Meter langen Styroporblock. Ihre langen dunklen Rastazöpfe waren zusammengebunden und um ihren Kopf trug sie ein blaues Bandana-Tuch. Styroporschnitzel lagen über den ganzen Boden verteilt.
Ich kannte Vio schon mein ganzes Leben. Sie war nur wenige Monate älter als ich. Mit Vio war es nie langweilig. Sie hatte sich noch nie darum geschert, was andere über sie dachten. Schon als Fünfjährige stand sie auf dem Surfbrett und
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