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Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht

Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht

Titel: Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Kay
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Mütter fragten sich, ob sie für uns bauten, oder es ein langersehnter Kindheitstraum von ihnen war. Das Baumhaus gab es immer noch und an lauen Sommerabenden bestiegen wir es nach wie vor. Ich wünschte mir in dieser Sekunde nichts sehnlicher, als noch einmal mit ihr dort hinauf zu klettern, Geheimnisse zu teilen und dabei Schokolade zu essen. Das Wissen, es nie wieder zu tun, zersprengte fast mein Herz.
    Nik brachte mir irgendwann einen Teller Tomatensuppe und ein Brötchen, er stellte das Tablett wortlos auf meinen Nachttisch ab, setzte sich zu mir und hielt einfach nur meine Hand. Wir sprachen nicht, unsere Trauer war still und tief und bedurfte keiner Worte. Die Suppe war längst kalt, als Nik aufstand und schweigend aus dem Zimmer ging, die Zimmertür jedoch offen ließ. Mir fehlte die Kraft, um ihm hinterher zu rufen, die Türe zu schließen, geschweige denn es selbst zu tun. Schleifende Geräusche erklangen aus dem Flur, näherten sich, bis Nik schließlich wieder im Türrahmen auftauchte. Schnaufend zog er seine Matratze samt Bettzeug in den Raum, ließ alles vor meinem Bett fallen. Ich starrte abwechselnd auf ihn und die Bettsachen. Unschlüssig stand er vor mir und ließ sich dann auf sein Lager plumpsen.
    »Ich schlafe heute hier«, bemerkte er. »Wenn du magst, auch noch die nächsten Nächte … solange du willst.«
    »Ja«, flüsterte ich, wobei mir wieder Tränen in die Augen stiegen. Was würde ich nur ohne meinen Zwilling tun? Was würde ich tun, wenn er eines Tages von mir ging? Wenn ich ohne ihn sein müsste? Ich legte eine Hand auf den Brustkorb und schnappte nach Luft. An so etwas durfte ich nie wieder denken, verbot ich mir. Nie wieder! »Danke Nik.«
    »Da nicht für.« Es zuckte in seinem Gesicht und der Hauch eines Lächelns umspielte für einen kurzen Moment seinen Mund. »Mae?«
    »Ja?«
    »Am Montag … da ist die … die Beerdigung.« Niks Atem kamnun in unregelmäßigen Stößen. Er presste die Lippen aufeinander und brachte es nicht fertig Vios Namen auszusprechen.
    »Oh. Montag schon?«, sagte ich tonlos und spielte nervös mit meinen Fingern.
    Nik schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen hingehen?« Seine Stimme schwankte. Ich konnte nur stumm nicken, bittere Tränen stürzten mein und nun auch Niks Gesicht hinab. Wir beweinten Vio, die wir unser ganzes Leben lang kannten, unsere Freundin, die eher wie eine Schwester war. Die Lücke, die sie hinterließ, würde nie wieder ein anderer Mensch schließen können. Nie wieder.
    Zwei Tage später beschloss ich, mein Bett zu verlassen. Es war Sonntag, vor meinem Fenster hatte sich ein ganzer Vogelschwarm zum morgendlichen Pfeifkonzert versammelt. Mit wackeligen Beinen stieg ich über Niks leeres Nachtlager auf dem Scotty grunzend ein Nickerchen hielt und ging zur Balkontür. Herrlichstes Frühlingswetter schlug mir paradoxerweise entgegen, doch ich weigerte mich, die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut zu genießen. Wie sollte ich auch, nachdem was passiert ist.
    Nik saß bereits mit meinen Eltern am Frühstückstisch, als ich in meinem Bademantel eingehüllt die Küche betrat. Überrascht drehten sie ihre Köpfe in meine Richtung. Obwohl für mich mit eingedeckt war, hatten sie nicht mit mir gerechnet. Als ich mich zu ihnen an den Tisch setzte und nach dem Kaffee griff, beobachteten sie mich immer noch ungläubig an. Mam reichte mir den Brotkorb quer über den Tisch. »Möchtest du Schatz?«
    »Ja, danke.« Ich nahm eine Scheibe Graubrot aus dem Korb und griff nach der Butterdose in der Mitte des Tisches. Nik klappte sein Toastbrot zusammen, worauf die Schokocreme an den Seiten dickflüssig herausquoll und schließlich herunter tropfte. Er beugte sich hinab und fing den Aufstrich mit seiner Zunge auf. Dieser Moment tröstete mich. Nik aß nie ein Brot mit Schokoaufstrich, vielmehr vertilgte er den Schokoaufstrich mit Brot. Diese vertraute Szene am Frühstückstisch glich einer wärmenden Umarmung und schenkte mir Zuversicht.
    Nach dem Frühstück fühlte ich mich ein wenig besser. Mein Magen rumorte, schien aber zufrieden zu sein, endlich wieder Nahrung verdauen zu dürfen. In meinem Zimmer öffnete ichden Kleiderschrank und kramte eine Jeans und mein schwarzes »Emily the Strange« T-Shirt hervor. Aus der Schublade meiner Kommode fischte ich frische Unterwäsche und schwarz-weiß geringelte Socken, schlurfte damit ins Bad und duschte ausgiebig. Anregend warme Wasserstrahlen schossen aus dem Duschkopf, in mein

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