Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
Das Leittier. Mit geschmeidigen und fließenden Bewegungen führte es die Gruppe an. Knurren und Heulen erfüllte die Nachtluft. Dieses Heulen kannte ich, es gehörte nicht zu Hunden. Auf dem Strand versammelte sich ein Wolfsrudel. Ich beobachtete es fasziniert, und währenddessen, wurde der Körper des Leittiers von starken Krämpfen erfasst. Das Fell platzte auf, der Wolf erhob sich auf zwei Beine und verwandelte sich vor meinen Augen in einen Menschen. Die Wölfe stellten sich hinter dem Mann auf, der mich geradewegs anblickte. Ich erkannte diesen Blick.
Konrad.
Abschied
Das Erste, was ich am nächsten Tag wahrnahm, war das gleichmäßige Rauschen des Regens.
Ich zog meine Bettdecke bis zur Nasenspitze und lauschte den klimpernden Regentropfen und dem Brausen des Windes. Der Dämmerzustand kurz nach dem Aufwachen gaukelte mir eine heile Welt vor. Langsam rollte ich mich auf die rechte Seite, dann spürte ich ihn erneut, diesen unerträglichen Schmerz. Gierig wie ein Parasit fraß er sich in mein Herz und entzog mir all meine Energie. Mit der Macht eines Tsunamis überfluteten mich die Erinnerungen, Bilder im Zeitraffer blitzten auf. Ein schwarzes Loch verschluckte meine heile Welt und ich konnte nichts tun, um den normalen Zustand wieder herbeizuführen. Nichts war in Ordnung. Augenblicklich krümmte ich mich und würgte. Dann erbrach ich mich neben meinem Bett.
Vom Flur her näherten sich hektische Schritte. Als die Zimmertür aufflog und meine Mutter hereinstürzte, lag ich immer noch zusammengekrümmt auf der Seite, unfähig mich zu rühren. Von Schmerzen betäubt, nicht in der Lage zu weinen oder zu sprechen. Den säuerlichen Geruch meines Erbrochenen nahm ich nicht wahr. Meine Mutter wischte es auf und verständigte den Arzt. Wenig später erschien Doktor Brodersen an meinem Bett, reichte mir ein Glas Wasser und legte zwei ovale Tabletten in meine Handfläche. Mechanisch schluckte ich die grünen Pillen hinunter, wofür auch immer sie waren. Die Gespräche drangen nicht zu mir durch. Als Doktor Brodersen mein Zimmer verließ,mischte sich zu der Taubheit eine seltsame ruhige Leere, die fast schon mit Gleichgültigkeit vergleichbar war. Mam blieb an meinem Bett sitzen und studierte prüfend mein Gesicht. Dann ergriff sie meine Hände und rieb mit ihren Fingern über meine Handrücken. Auch dabei wich ihr Blick nicht von mir. Ein Gedanke durchzuckte mich, ich kannte diesen Blick, sie suchte nach Worten und fand sie nicht. Sie wusste etwas über Vio und es war nichts Gutes. Ruckartig richtete ich mich auf, doch dabei wurde mir sofort schwindelig.
»Pschhh«, sie drückte mich sanft in mein Kissen zurück.
»Was … was ist mit Vio? Geht es ihr gut? Wann kann ich zu ihr?« Meine Stimme überschlug sich. Matt und kraftlos klang sie und schien irgendwie gar nicht zu mir zu gehören.
»Vio hatte einen Unfall«, begann Mam schließlich ruhig und gefasst nach einer mir schier unendlich erscheinenden Pause. »Ein Blitz hat das Segel ihres Surfbrettes getroffen und es zerstört.« Sie atmete aus, es fiel ihr nicht leicht darüber zu reden.
»Und? In welchem Krankenhaus ist sie?«, flehte ich. Ich weigerte mich an einen schlimmen Ausgang zu glauben und kämpfte jegliche Zweifel nieder.
Mam sah mich nun so mitleidig an, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte, dann senkte sie ihren Blick. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, als sie fortfuhr. »Vio ist dann scheinbar durch den Blitzeinschlag bewusstlos geworden und ins Wasser gestürzt.«
Meine Zweifel gewannen die Oberhand, Mam und mein Zimmer verschwammen, versanken in einem Tränenmeer. Ich presste mir die Hände vor das Gesicht. Mit einem Taschentuch tupfte sie kurz darauf meine Tränen ab und da sah ich, dass auch sie weinte.
»Ist sie … ist sie …«, schluchzte ich. »Ist sie tot?«
Mams Lippen zitterten. »Ja, mein Schatz«, hauchte sie mit gebrochener Stimme und schaute zur Zimmerdecke empor. »Vio ist jetzt bei den Engeln.«
Mam blieb bei mir, ich weiß nicht wie lange. Als sie mein Zimmer verließ, dämmerte es bereits. Ich war zu sehr von dem Schmerz eingenommen, um mir über irgendetwas anderes Gedanken machen zu können.
Ich erinnerte mich an die schönen Momente, die Vio und ichmiteinander erlebt hatten. Eines Tages hatten wir die Idee in dem alten Apfelbaum in unserem Garten ein Baumhaus zu bauen. Im Endeffekt haben nicht wir eins gebaut, sondern unsere Väter, die vor Begeisterung und Einfallsreichtum sprühten. Unsere
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