Eulenspiegel
lieber Gott«, stöhnte er. Da stand was von Technokraten und von kalten Zeiten – Aldous Huxley war zitiert – von Einfühlungsvermögen, Menschlichkeit und Phantasie, und irgendwo kamen auch »die Erfahrung, die zählt« und der »alte Hase« vor.
Flintrop stand breitbeinig vor ihm. »Schönen Gruß von der Chefin: um 14 Uhr Manöverkritik – für alle.«
Um zehn nach eins, als der Ministerpräsident und seine Sicherheitsbeamten längst abgefahren waren und die Veranstaltung langsam zu einem Ende kam, setzte Toppe sich ab. Er mußte ein paar Minuten allein sein.
In seinem Büro angekommen, fiel er auf seinem Schreibtischstuhl in den Kutschersitz, um den Rücken zu dehnen, machte noch ein paar Katzenbuckel, bis er endlich ohne Schmerzen durchatmen konnte. Dann holte er die Zeitungsseite aus der Hosentasche und faltete sie auseinander. Karin Hetzel hatte angedroht, der Meinhard zu geigen, was sie vom »neuen Steuerungsmodell« hielt. Dazu hatte sie ihn mißbraucht, und daran schluckte er ziemlich. Na ja, mißbraucht war etwas hart. Er hatte einfach nicht damit gerechnet. Dabei war der Artikel nicht schlecht, vielleicht stellenweise ein bißchen dick aufgetragen, ein bißchen viel Pathos. Aber im Grunde spiegelte er schon seine Gedanken wieder, seine Überlegungen und ein paar seiner Gefühle. Nur seinen Frust nicht. In diesem Artikel wirkte er souverän – ein Mann der den einzig richtigen Weg geht, gegen den Zeitgeist, gegen alle Flaggen. Wenn man es von der anderen Seite betrachtete, ein Don Quichotte.
Und genau das würde ihm die Meinhard gleich erzählen. Er zweifelte nicht einen Moment daran, daß sie ihn nach der »Manöverkritik« zu einem Gespräch unter vie Augen bitten würde, um ihm ein paar Leersätze zu servieren und ihm vielleicht sogar mit Konsequenzen zu drohen. Nachdenklich zündete er sich eine Zigarette a: und drückte sie gleich wieder aus.
Es war an der Zeit, den Mund aufzumachen. Entweder er schmiß hier alles hin und ließ sich weit weg versetzen – die dumpfe Reihe: Wohin? In deinem Alter? Astrid? Die Kinder? Das Haus? schob er schnell beiseite – oder er spielte ab sofort das Spiel nicht mehr mit. Egal, was dabei rauskam.
Als er auf den Flur trat, sah er an der Treppe den Mann im grauen Zwirn.
»Herr Rother?«
»Ja?« Rother verschränkte die Hände und wartete au ihn.
»Sind Sie etwa auch zur ›Manöverkritik‹ geladen?«
»Nein, nein«, fuhr sich der ED-Mann über die kurze graue Bürste. »Ich höre mir das nur interessehalber an Haben Sie meinen Bericht schon gelesen? Ich hatte ihn ins Büro gelegt.«
»Nein, dazu bin ich noch nicht gekommen.«
»Keine Fingerabdrücke am Kondom. Das Isolierband wieder von derselben Sorte.«
»Hatte ich mir gedacht.«
Neben Heinrichs waren noch zwei Plätze frei. »Du kommst aber auf den allerletzten Drücker, mein Jung«, klopfte der auf die Stuhlfläche neben sich. Astrid und van Appeldorn saßen meilenweit entfernt.
Charlotte Meinhard stand bereits vor der versammelten Mannschaft. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit engem, wadenlangen Rock, eine doppelreihige Perlenkette und schmale Pumps. Ihr Lächeln sorgte für Ruhe.
»Ich möchte Ihnen allen für Ihren vorbildlichen Einsatz danken und uns zu dem absolut reibungslosen Ablauf beglückwünschen.« Sie bedachte jeden mit einem anerkennenden Blick, nur Toppe sparte sie aus.
Also, das war heute ihr Plan! Kein Gespräch unter vier Augen. Nein, Toppe war das ungezogene Kind, das man mit Nichtachtung strafte.
»Und ganz herzliche Grüße soll ich Ihnen vom Stadtdirektor ausrichten. Er ist sehr stolz auf uns.«
Wieso beklatschten die sich selbst?
Die Chefin machte eine kleine Kopfbewegung, die es sofort wieder still werden ließ. »So, genug Dankeschöns. Wir wollen zum eigentlichen Punkt kommen. Also bitte, die Kritik von Ihrer Seite.«
Beinahe jeder senkte sofort den Blick.
Toppe hob kurz die Hand und unterdrückte den Impuls, sich zu erheben. Statt dessen schlug er die Beine übereinander. »Ganz knapp und sachlich, Frau Meinhard: zwei Drittel unserer Leute waren heute absolut überflüssig. Und ein wenig mehr Diskretion in der Durchführung hätte auch nicht geschadet. Das Paradeaufgebot hat die meisten Gäste nur beunruhigt.«
»Wie darf ich das verstehen?« Nichts als schieres Interesse in ihrem Gesicht.
»Der Ministerpräsident, zum Beispiel, hat mich gefragt, ob wir eine Bombendrohung hätten«, antwortete Toppe und setzte die Füße wieder nebeneinander. »Wenn Sie
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