Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Gesellschaft tief greifende Veränderungen statt. Politisch gipfelte die Transformation 1995 in Finnlands Beitritt zur EU. Obwohl in Finnland der Wandel »von Ost nach West« sicherlich weniger dramatisch und weniger schnell vonstatten ging – das Land ging keine militärische Allianz ein – als in den ehemals kommunistischen Ländern, so war er dennoch deutlich spürbar.
Drei wichtige Veränderungen haben die internationale Stellung Finnlands maßgeblich beeinflusst: Erstens befreiten das Ende des Kalten Krieges und die Auflösung der Sowjetunion Finnland aus seiner unbequemen Lage in der damaligen politischen Konstellation, in welcher eine Politik der Neutralität als optimale Linie galt. Dies hatte jedoch eine verheerende Wirkung auf Finnlands Wirtschaft, da buchstäblich über Nacht nahezu ein Viertel des Exportes wegfiel. Zweitens ließ die Globalisierung die Gesellschaft offener und die Rolle des Staates in der Wirtschaft geringer werden. Während der 1990er Jahre wandelte sich Finnlands Volkswirtschaft von einer korporativen, auf dem Forstwesen und der subventionierter Landwirtschaft begründeten Wirtschaft in ein High-Tech-»Nokialand«. Drittens band die europäische Integration Finnland eng an die gemeinsamen Politiken der EU. Im Zuge dessen wandelte sich Finnlands Selbstverständnis, und der Nordismus schien seine frühere Anziehungskraft zu verlieren. Seit 1995 verfolgt Finnland eine aktive Europapolitik, obwohl die Skepsis der öffentlichen Meinung gegenüber die Union und der Regierungswechsel 2003 dieser Politik gewisse Grenzen gesetzt hat.
1. Finnland und die europäische Integration
Zu Zeiten des Kalten Krieges war Finnland in seinen Beziehungen zum Westen durch die Sowjetunion beschränkt. Für das Land war es jedoch oberstes Gebot, seinen größten wirtschaftlichen Rivalen, Schweden, keinen
Wettbewerbsvorteil aus einer weitreichenderen Beteiligung an der westeuropäischen Integration ziehen zu lassen. 1 So fand sich Finnland in der paradoxen Lage, die wirtschaftlich erforderlichen Schritte in Richtung einer stärkeren Integration in die westlichen Strukturen vorsichtig angehen zu müssen, um seine Neutralität und folglich seine Stellung gegenüber der Sowjetunion nicht zu gefährden.
Im Grunde betrieben die Finnen die Suche nach idealen Integrationslösungen, mit deren Hilfe sie wirtschaftlich die Früchte der Integration ernten, aber gleichzeitig die politisch heiklen Elemente minimieren und supranationale Verpflichtungen vermeiden konnten. 2 Die finnische Integrationspolitik wurde während des Kalten Krieges als eine Politik des Abwartens bezeichnet. Finnland enthielt sich einer Beteiligung an neuen Integrationsvorschlägen und beobachtete zunächst genau, wie sich die Zusammenarbeit jeweils gestalten und welche Haltung Moskau gegenüber einer finnischen Beteiligung einnehmen würde. 3 Im Zuge ihrer Wait-and see-Politik warteten die finnischen Entscheidungsträger die Auswirkungen des Vertrages von Maastricht ab, ehe sie Brüssel ihren Antrag auf Mitgliedschaft übermittelten. Nach Auflösung der Sowjetunion legte sich die Angst, Moskau würde negativ auf Finnlands Beitrittsbestrebungen reagieren. Der asymmetrische Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit der Sowjetunion wurde annulliert und Anfang 1992 durch ein neues Abkommen mit Russland über die Grundlagen gegenseitiger Beziehungen ersetzt, in welchem sich die allgemeinen europäischen Prinzipien und Normen niederschlugen. Zudem wurde im Januar 1992 Finnlands Neutralitätspolitik unter Hinweis auf die militärische Allianzfreiheit und unabhängige Verteidigung neu definiert.
Die EU-Beitrittsverhandlungen wurden gemeinsam mit Österreich, Norwegen und Schweden geführt und im Juni 1994 auf Korfu abgeschlossen. Das Referendum, in welchem die Bürger Finnlands der Mitgliedschaft mehrheitlich zustimmten (56,9 Prozent dafür und 43,1 Prozent dagegen), wurde im Oktober 1994 durchgeführt.
Seit seinem EU-Beitritt im Januar 1995 hat Finnland stets eine europäische Politik verfolgt und sich für die weitere Integration der EU eingesetzt. Dies zeigte sich auch in der Entscheidung, als einziges nordisches Land an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion teilzunehmen. Neben Luxemburg hat Finnland am seltensten gegen die Mehrheit im Rat abgestimmt. Finnland hat darüber hinaus auch aktiv Unionspolitiken mitgestaltet und die Verbreitung der Mehrheitsentscheidungen befürwortet. Die Entwicklung einer
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