Europa nach dem Fall
Zusammenarbeit von einem neuen Aktivistenkern aus Deutschland und Frankreich und vielleicht auch Spanien und Italien kommen müsste (obwohl Frankreich gerade gegen die Verfassung gestimmt hatte). Es war beinahe allen klar, dass die ursprüngliche föderale Vorstellung von den Vereinigten Staaten von Europa, die auf die eine oder andere Art das Ziel der Gründerväter nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen war, nicht mehr durchführbar sei, nachdem die EU aus 27 Mitgliedern bestand.
Einige schlugen einen neuen Plan B vor, doch gleichzeitig war klar, dass das eigentliche Problem nicht darin bestand, zu einer neuen Sprachregelung zu finden, die diejenigen beruhigen würde, die die Aufgabe von zu viel Souveränität oder sogar den Verlust ihrer Identität fürchteten. Das eigentliche Problem bestand darin, dass ein neuer Anstoß nur auf der Grundlage einer neuen psychologischen Ausrichtung, einer neuen Stimmung und einer neuen Haltung zu Europa kommen könnte. Grundsätzlich war eigentlich jeder für irgendeine Art von Europa, doch es gab keine Übereinstimmung, wo seine Grenzen sein sollten. Vor allem kamen bei einem Interessenkonflikt zwischen dem Nationalstaat und Europa stets die eigenen Interessen zuerst. Das zeigte sich bei jeder Gelegenheit, und nur ein jüngeres Beispiel soll genügen.
Im Dezember 2007 sollte ein neuer Vertrag »die Effizienz und die demokratische Legitimität der Union verstärken und die konzertierten Aktionen verbessern«. Es war ein mehr oder weniger eleganter Weg, die Opposition gegen eine größere europäische Einheit, die sich in den zahlreichen Abstimmungen früherer Jahre gegen eine europäische Verfassung gezeigt hatte, zu umgehen und zu überwinden. Er war gut formuliert, aber wie würde er auf die wahre Stimmungslage Einfluss nehmen können? Es bestanden tiefe Meinungsverschiedenheiten zu ökonomischen und anderen Fragen.
Das oft zitierte »europäische Modell« bezog sich vor allem auf den Wohlfahrtsstaat. Bezüglich seiner Zukunft reichten die Meinungen führender Wirtschaftswissenschaftler von tristem Pessimismus – der Vorhersage, dass der Wohlfahrtsstaat tot sei und nicht wiederbelebt werden könne – bis zu relativem Optimismus und der Annahme, dass durch eine Mischung aus bescheidenen Kürzungen von Sozialleistungen und bescheidenen Steuererhöhungen der Kern des Wohlfahrtsstaats gerettet werden könne. Jeder europäische Staat musste zwei Jahrzehnte lang Sozialleistungen kürzen. Den Anstoß dazu gaben konservative Regierungen (Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich, Helmut Kohl in Deutschland, Carl Bildt in Schweden), doch die nachfolgenden sozialdemokratisch geprägten Regierungen wie die Gerhard Schröders in Deutschland mussten sich der gleichen Politik beugen. Die gebotenen Dienstleistungen waren durchwegs teurer geworden. Das resultierte zum Teil daraus, dass mehr Menschen länger lebten und dass die Kosten der medizinischen Versorgung stiegen. Es war aber auch durch das langsame oder stagnierende Wirtschaftswachstum bedingt. Als der Wohlfahrtsstaat ins Leben gerufen wurde, waren die Ausgaben beträchtlich geringer und das Wirtschaftswachstum war höher gewesen.
Die Regierungen konnten die Steuern zwar erhöhen, doch in den meisten nordeuropäischen Ländern waren die Steuern ohnehin hoch (nahezu 50 Prozent), und weitere Erhöhungen würden das Wirtschaftswachstum verlangsamen und zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Die von der extremen Linken vorgeschlagene Politik – Schröpfe die Reichen! – war bei den europäischen Gegebenheiten auch nicht zielführend. Es stimmt, dass wachsende Einkommensungleichheiten in einer Wirtschaftskrise schwer zu rechtfertigen waren. Diese Kritik bezog sich auch auf die EU-Bürokratie in Brüssel. Warum sollten Mitglieder des Europäischen Parlaments, nicht zu reden von Firmenchefs, die versagt hatten, Pensionen erhalten, die um vieles höher waren als der Durchschnitt? Doch es gab nicht genügend reiche Leute, die geschröpft werden konnten, um generell eine Änderung zu erzielen. Andererseits bestand die Gefahr (oder sogar die Wahrscheinlichkeit), dass Firmen oder Individuen, wenn man sie zu sehr in die Mangel nahm, dann ihre Aktivitäten in Staaten mit geringerer Besteuerung verlegen würden.
Die einzige Alternative bot eine sozialpolitische Übereinkunft zwischen allen Beteiligten, Mäßigung an den Tag zu legen und die wie schmerzhaft auch immer ausfallende Notwendigkeit von Einschnitten zu akzeptieren, um zumindest die
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