Europa nach dem Fall
in jüngster Zeit Versuche gegeben, einen engeren politischen Rahmen zu schaffen, den letzten 2010 unter dem Titel UNASUR (Union der Südamerikanischen Nationen), doch ein merklicher Fortschritt ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Auch ähnliche Bemühungen in anderen Teilen der Welt haben nicht zur Herausbildung starker Regionalmächte geführt, weder in Afrika (die Afrikanische Union mit ihren 53 Mitgliedern) noch im Nahen Osten (die Arabische Liga mit 22 Mitgliedern).
Doch die europäische Lage ist in vielerlei Hinsicht anders. Bei den wenigen vorhandenen Rohstoffen und Energiequellen wird es Schwierigkeiten geben, den Lebensstandard und die sozialen Errungenschaften ohne eine Union aufrechtzuerhalten. Lateinamerika ist weit weniger politischem Druck ausgesetzt, da es den Zentren der Stürme fern ist und keinen Zustrom von Einwanderern mehr anzieht. Es überrascht allerdings nicht, dass die Schritte hin zu einer Einigung langsam gewesen sind, weil die Nationalstaaten schon seit Jahrhunderten existieren.
Doch eine Einigung ist aus einer Reihe von Gründen nötiger denn je, vor allem weil Europa in den kommenden Jahren nicht länger auf das amerikanische Sicherheitsnetz zählen dürfte. Solange es keine stärkeren wirtschaftlichen Kontrollmechanismen geben wird, werden sich weitere Krisen einstellen, die Ungleichheiten zwischen den Ländern werden zunehmen, und es wird eine Rückkehr zu wirtschaftlichem Nationalismus und Protektionismus geben. Es könnte noch schwerwiegendere Folgen geben. Solange Europa keine gemeinsame Energiepolitik hat, wird es nicht Herr seines eigenen Schicksals sein und es schwer haben, auf den Weltmärkten zu konkurrieren. Ohne eine gemeinsame Verteidigungspolitik wird Europa noch weniger auf der internationalen Bühne zählen. Es wird unfähig sein, mit regionalen Konflikten zurechtzukommen, gar nicht zu reden von der drohenden Verbreitung von Massenvernichtungswaffen – und dies gehört zu den expliziten Aufgaben der europäischen Sicherheitsstrategie. Europa mag noch geringfügige »Polizeiaufgaben« durchführen können, aber keinen Krieg.
Bis 2020 oder 2030 könnten die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Existenz von gescheiterten Staaten in der Nähe der europäischen Grenzen, also in Nordafrika und im Nahen Osten, durchaus eine ernsthafte Bedrohung darstellen, und Europa wird vielleicht nicht mehr unbegrenzt auf die NATO zählen können. Doch gegenwärtig besteht kein politischer Wille, die notwendigen Verteidigungskräfte für die bevorstehenden Gefahren bereitzustellen. Frankreich hat vorgeschlagen, Russland in die künftige Verteidigungsplanung für Europa einzubeziehen, doch das wird bei den anderen Staaten nicht auf ungeteilte Begeisterung stoßen. Zudem sind den meisten Berichten zufolge die russischen Verteidigungskräfte, ausgenommen vielleicht das Nukleararsenal, nicht in der besten Verfassung.
Europa ist für mehr als die Hälfte seiner Energieversorgung von ausländischen Quellen abhängig, und diese Abhängigkeit könnte in den kommenden Jahren zunehmen. Die baltischen Länder, Schweden, Bulgarien, die Slowakei und einige andere sind völlig von russischen Lieferungen abhängig. Es hat seit Jahren schon Pläne gegeben, diese Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu verringern, während Russland andererseits etliche Schritte unternommen hat, diese Abhängigkeit zu zementieren und womöglich zu erhöhen. Die Ergebnisse sind bislang jedoch bescheiden geblieben, und die Aussichten für die Zukunft sind nicht besser. Zu den Hauptprojekten gehört die Unterstützung des Baus der Nabucco-Pipeline, die vom Kaspischen Meer über die Türkei und den Balkan nach Österreich und ins westliche Europa führen soll. Sie würde konkurrieren mit der von Russland vorgeschlagenen South-Stream-Pipeline, die unter dem Schwarzen Meer nach Bulgarien und nach Westeuropa führen soll. Erste Arbeiten an der Nabucco-Pipeline begannen 2002, und die Fertigstellung wird bis 2016/2018 erwartet. Doch Nabucco wird durch politisch exponierte Regionen wie den Balkan und den Nahen Osten führen, daher wird Europa verletzlich bleiben.
Eine stärkere europäische Energiesicherheit wird es nicht geben, solange sich Europa nicht entschlossener um eine spürbare Erhöhung der Nutzung anderer Energiequellen bemüht. Einige Staaten wie etwa Frankreich haben größere Anstrengungen in diese Richtung unternommen als andere. Deutschlands Entscheidung, seine Atomkraftwerke innerhalb der
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