Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
Vom Netzwerk:
Problem auf der Welt sei und dass sich nach einer Lösung dieses Konflikts durch stärkeren Druck auf Israel aufgrund dieser Politik eine weitreichende Verbesserung der Beziehungen zur muslimischen Welt erreichen ließe. Terroristische Angriffe würden an Zahl und Intensität abnehmen, in Europa lebende Muslime würden mehr Integrationsbereitschaft zeigen und – wer weiß? – vielleicht würde sogar der Preis von Öl und Gas ein wenig fallen. Das waren ohnehin reine Phantasien. Die Okkupationspolitik israelischer Regierungen sei dumm, kurzsichtig und würde bei einer Beibehaltung das Land in einen nicht demokratischen Staat verwandeln, da die Juden ihre demografische Mehrheit verlieren würden. Das würde Israel in einen binationalen Staat ohne jüdische Vorherrschaft verwandeln und keinen Frieden im Nahen Osten bringen. Das alles trifft zu, doch die Vorstellung, dass eine Lösung des Konflikts irgendwie bedeutende Veränderungen in der Weltpolitik herbeiführen und Europas Ansehen in der Welt heben würde, war reines Wunschdenken.
    Nichtsdestoweniger sollten solche EU-Initiativen fortbestehen, als ein Rückschlag der Demokraten bei den Zwischenwahlen 2010 ein politisches Patt für die nächsten beiden Jahre einleitete. Amerikas Position in der Welt war eindeutig geschwächt und würde mindestens auf einige Jahre so bleiben. Das gab der EU etwas mehr Handlungsfreiheit, aber Freiheit, um was zu tun? War es ein günstiger Zeitpunkt, sich von Washington zu lösen, oder sollte sie eher engere Beziehungen pflegen? Die EU machte schließlich auch eine Überlebenskrise durch aufgrund der Staatsverschuldung und der Gefahr eines drohenden Bankrotts in einer Anzahl von Ländern.
    Beide Seiten hatte Verbündete mehr als zuvor nötig. Wie Barroso 2010 sagte: »Die transatlantische Beziehung schöpft ihr Potenzial nicht aus. Ich glaube, wir sollten viel mehr gemeinsam tun … Es wäre schade, diese Gelegenheit zu versäumen.« Doch solche Bekundungen ließen ebenso viele Fragen offen, wie sie aufwarfen – welches Potenzial und wo welche gemeinsame Aktion? Selbst wenn Obama sich mehr als atlantischer denn als pazifischer Präsident sehen würde, wenn er etwas weniger naiv in seiner Einschätzung von Chinas und Russlands Potenzial und Stehvermögen als Tragpfeiler einer neuen Weltordnung, als Garanten nicht nur der Stabilität, sondern des Wohlergehens der ganzen Menschheit wäre, sähe er sich immer noch einem uneinigen Europa gegenüber, das sich Illusionen hingibt und die europäische Schwäche herunterspielt. Beide Seiten bedurften dringend eines frischen Anstoßes zu einem Neuanfang. Solche plötzlichen Wendepunkte haben sich in der Geschichte ergeben, doch nicht sehr oft, und 2011 waren keine Anzeichen zu erkennen, die ein solches bevorstehendes Wunder vorhersagten.

Die schlechte Stimmung in Europa
    Während der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts verschlechterte sich die Stimmung in Europa, was die Einstellung zur EU betraf, markant. Es war ganz naturgemäß, dass die vormalige Europa-Begeisterung ( Europe, ma patrie! ) nicht ewig anhielt; ein so umfassender historischer Prozess wie die europäische Einigung musste Rückschläge erleiden. Schließlich konnten die Nationalstaaten auf eine tausendjährige Tradition zurückblicken und waren daher kaum bereit, souveräne Rechte aufzugeben, die seit undenkbarer Zeit gegolten hatten, um sie an eine weitgehend anonyme Institution abzugeben, deren oberste Loyalität nicht einem Nationalstaat, sondern einer Gemeinschaft von Nationen galt.
    Unter diesen Umständen war es nur natürlich, dass kritische und feindliche Haltungen sich herausbilden und verstärken würden. Es gab weitgehende Übereinstimmung, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit intensiviert werden sollte, aber große Abneigung gegenüber einer Zentralisierung und Versuchen, die Union politisch zu stärken. Solche Haltungen gab es schon, als es der Wirtschaft gut ging und Länder wie Spanien, Irland und einige osteuropäische Staaten spektakuläre Fortschritte machten. Es war unvermeidlich, dass die Haltungen bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation feindseliger werden würden.
    Umfragen aus dem Sommer 2010 zufolge hatte der Prozentsatz derjenigen, die glaubten, eine Mitgliedschaft in der EU sei eine gute Sache, in einem Jahr um 10 Punkte abgenommen. Nur jeder zweite Deutsche war noch für eine EU-Mitgliedschaft. In praktisch allen europäischen Staaten nahm die Unterstützung auf ähnliche Weise ab,

Weitere Kostenlose Bücher