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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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Das änderte sich während der Krise von 2008 und danach, als der EU abgeneigte Parteien in vielen Ländern zum Zug kamen. Früher hatten sich solche populistischen Parteien (mehr darüber später) vorwiegend mit den Gefahren unkontrollierter Einwanderung beschäftigt, doch seit 2008 wurde die Kritik an der EU-Politik genauso wichtig, wenn nicht sogar vordringlicher.

Europäische Außenpolitik
    Wie sehr begrenzt der europäische Einfluss auf das Weltgeschehen ist, dürfte mittlerweile allen bekannt sein. Europa zahlt mehr Geld an die Vereinten Nationen als jede andere Staatengruppe. Das Gleiche gilt für die Entwicklungshilfe. Europa brüstete sich damit, in den letzten Jahren 150 Millionen Menschen vor dem Verhungern gerettet zu haben. Es wäre daher zu erwarten, dass europäische Forderungen und Interessen bei den Aktivitäten der UNO Berücksichtigung finden, aber das ist nicht der Fall gewesen. Die Verteidigung der Menschenrechte hat bei den Europäern einen hohen Stellenwert. Sie steht bei zahllosen Reden und offiziellen Dokumenten fast immer an erster Stelle. Doch da Europa allein bisher nicht in der Lage oder willens war, viel in dieser Hinsicht zu tun, hat es versucht, über die UNO aktiv zu werden. Die Ergebnisse sind allerdings beklagenswert ausgefallen.
    Die Europäische Union predigte die demokratischen Werte Großmächten gegenüber zurückhaltend, kleineren Ländern gegenüber aber mit Nachdruck, doch ohne Wirkung. Solche Scharaden erledigten sich von selbst, lautete der Kommentar chinesischer Diplomaten. Europa war schwach geworden, hatte es selbst aber noch nicht eingesehen. Ein schwacher Kontinent konnte sich nicht länger in die Angelegenheiten anderer einmischen, und die häufigen unwirksamen Ermahnungen stellten nur seine Machtlosigkeit bloß und gaben ihn der Lächerlichkeit preis. Im europäischen Bericht über die EU und die Menschenrechte von 2009 heißt es:
    »Die Zahl der Staaten, die am heftigsten die Positionen der EU zu Menschenrechten bei der UN bekämpfen, ist von 19 im letzten Jahr auf 40 in diesem Jahr angewachsen. Seit den späten 1990er-Jahren, als die EU die Unterstützung von mehr als 70 Prozent der Generalversammlung bei Abstimmungen zu Menschenrechten genoss, ist die Unterstützung für die Menschenrechtsposition der EU stark eingebrochen: die EU hat den Rückhalt von 13 ehemaligen Verbündeten bei Menschenrechtsabstimmungen im letzten Jahr verloren – 117 der 192 UN-Mitglieder stimmen nun üblicherweise gegen die EU.«
    Der UN-Menschenrechtsrat, in dem bis März 2011 unter anderem auch Libyen einen Sitz hatte, liefert mit seiner Zusammensetzung ein deutliches Beispiel. Hier sind überwiegend nicht demokratische Staaten mit einem schlechten oder sehr schlechten Ruf in Sachen Menschenrechte vertreten und der Rat ist fast ausschließlich bestrebt, die Immunität derjenigen Mitglieder (oder der Freunde und Verbündeten der Mitglieder) abzusichern, die der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden wurden. Ein Drittel der Mitglieder dieser Organisation gehört zur OIK, der Organisation der Islamischen Konferenz, die darauf besteht, dass das Rechtssystem dieser Länder fehlerlos ist, nicht verändert werden kann und nicht kontrolliert werden sollte. Es stimmt, dass ein Land und wirklich nur ein Land häufig verurteilt worden ist (es erübrigt sich zu sagen, welches). Es wäre ein himmlischer Zustand, wenn sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf ein einziges Land beschränkten, doch es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, dass diese Aussage absurd ist.
    Darfur ist ein offensichtliches Beispiel der Folgen. 2008 erließ der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl (den einzigen bisher) gegen Omar al-Baschir, den sudanesischen Präsidenten. Doch das hatte keine Folgen, weil die Arabische Liga und die Afrikanische Union Solidarität mit al-Baschir zeigten. Er ist seitdem ungehindert in viele Länder gereist, darunter die Türkei, und wurde als Ehrengast empfangen. Die UNO ist in den vielen Fällen von Völkermord in Asien und Afrika, darunter Ruanda, Burundi, der Kongo, Bangladesch und andere Länder, machtlos gewesen. Sogar im ehemaligen Jugoslawien hatten die Vereinten Nationen und Europa nicht die Macht einzugreifen, und nur aufgrund einer amerikanischen Initiative wurden Maßnahmen ergriffen. Der deutsche Vertreter für Menschenrechtsfragen bei der UNO stellte fest, dass die Zahl der Länder, die diese Rechte respektierten, geschrumpft sei und die

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