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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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Position des Westens geschwächt wurde. Politik und Solidaritätsgefühle einmal beiseitegelassen, die UNO folgte dem Rat des alten lateinischen Sprichworts – Parvus pendetur fur, magnus abire videtur – »Die Kleinen hängt man auf, die Großen lässt man laufen«. Welchen Sinn hatte es deshalb noch, Europas Teilnahme an diesen Spiegelfechtereien fortzusetzen?
    Es ließe sich argumentieren, dass angesichts der allgemeinen Schwäche Europas und womöglich vor allem seiner Abhängigkeit vom Import von Öl und Gas (wie auch der Exporte in diese und andere Länder) der Kontinent es sich nicht leisten konnte, diejenigen vor den Kopf zu stoßen, von deren gutem Willen er abhing. Doch in diesem Fall wäre es ehrenhafter gewesen, von verbalen Schuldzuweisungen und Verurteilungen abzusehen, deren Sinnlosigkeit allen bekannt war.
    Die Frage des Beitritts der Türkei zur EU ist kompliziert, und eine Vielzahl von Gründen kann dafür und dagegen angeführt werden. Doch einige Hintergrundinformationen hätten mehr Licht auf Camerons emphatische Erklärung (er favorisierte den Beitritt der Türkei sehr stark) geworfen, die für die europäischen Partner der Briten seltsam, wenn nicht gar etwas lächerlich klang. Das Ziel seiner Reise nach Ankara im Jahr 2010 bestand darin, die britischen Exporte in die Türkei zu verdoppeln (die britische Diplomatie ist vorrangig, wenn nicht hauptsächlich damit beschäftigt, britische Güter zu verkaufen). Die Türkei wird nach britischen Angaben 2050 die zweitgrößte Wirtschaft in Europa (nach dem Vereinigten Königreich) sein – eine Annahme, die nicht von vielen Wirtschaftlern geteilt wird. Es sollte auch bedacht werden, dass es wenige Einwanderer aus der Türkei ins Vereinigte Königreich gibt und dass nicht viel mehr erwartet werden, was in scharfem Kontrast zu anderen europäischen Ländern steht. Und schließlich besteht Camerons Vision einer Europäischen Union eher aus einer lockeren wirtschaftlichen Allianz als aus einer engen politischen Föderation. Mit anderen Worten, im Gegensatz zu Deutschland und anderen Ländern galt Camerons Sorge nicht dem Zustrom von Hunderttausenden Türken aus den weniger entwickelten Regionen ihres Landes.
    Was den Iran angeht, so hat Europa Verhandlungen über die nukleare Bewaffnung dieses Landes empfohlen. Diese Anstrengungen waren bisher ein Fehlschlag, wie auch amerikanische Versuche, eine Einigung mit Teheran zu erzielen. Widerstrebend hat sich Europa Washington angeschlossen und Wirtschaftssanktionen ausgesprochen, wobei die Opposition dagegen von Schweden angeführt wurde. Fairerweise muss gesagt werden, dass dies die weitreichendsten Maßnahmen sind, die je von der EU beschlossen wurden. Sie blockierte auch den Export von dual verwendbaren Gütern (die für zivile wie für militärische Zwecke eingesetzt werden können), was natürlich lautes Wehklagen gewisser Konzerne nach sich zog, die früher solche Güter exportiert hatten. Doch ob diese Maßnahmen den Bau iranischer Bomben verhindern würden, war gelinde gesagt zweifelhaft. Schärfere Maßregelungen waren aus europäischer Sicht undenkbar. Da Washington ebenfalls wenig Neigung zeigte, effektivere Maßnahmen zu ergreifen, bedeutete dies, dass Europa damit nicht nur die beträchtliche Wahrscheinlichkeit iranischer Bom ben, sondern auch der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, eines Krieges im Nahen Osten (mit allen wahrscheinlichen Folgen für Europas Energieversorgung) und anderer höchst unerfreulicher Resultate hingenommen hatte. Dies alles besagte, dass Europa vom Rest der Welt immer weniger ernst genommen wurde. Es war kein Faktor mehr, der bei internationalen Angelegenheiten in Betracht gezogen werden musste.
    Es ist nicht klar, ob europäische Staatsmänner und -frauen und das politische Establishment in den letzten Jahren irgendwelche Visionen für die Zukunft hatten. Die von den EU-Konferenzen verabschiedeten Resolutionen waren seichte Verallgemeinerungen, oft bedeutungslos und wahrscheinlich nicht einmal von ihren Verfassern besonders ernst genommen. Was noch an Vision vorhanden war, beruhte auf der Annahme, dass die Wirtschaft die Politik übertrumpfen und dass die politische Moral sich aus Wohlstand und sozialer Sicherheit ergeben würde. Es war ein hehrer Traum, und es gab (und gibt) großen Widerstand dagegen, aus diesem Traum aufzuwachen.

Europäische Verteidigung: Die Waffen nieder
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