Europa nach dem Fall
Entente frugale « zur Unterscheidung von der » Entente cordiale « aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, weil beide Seiten nur bescheidene Mittel dafür zur Verfügung hatten. Die Stationierung von nicht mehr als 5 000 Soldaten wurde ins Visier genommen. Andere Projekte beinhalteten eine industrielle Kooperation, beispielsweise bei unbemannten Lufteinsatzsystemen (wie Drohnen), und auch eine Zusammenarbeit bei der britischen und französischen Nuklearabschreckung.
Es blieb allerdings unklar, wie sich eine solche Zusammenarbeit mit anderen Plänen vertrug, die diskutiert worden waren, wie etwa Präsident Medwedews Vorschlag aus dem Jahr 2008 (den er mehrfach wiederholte) zu einem neuen Sicherheitspakt für Europa, der Russland und die Vereinigten Staaten einschloss (»von Vancouver bis Wladiwostok«). Dem folgten ein ausführlicher Vertragsentwurf im Dezember 2009 sowie ein Dialog zwischen der NATO und Moskau.
Diese zahlreichen Initiativen spiegelten Interesse und guten Willen zu engerer Zusammenarbeit im Westen wie im Osten wider, aber es war noch gar nicht klar, was dies in der Praxis bedeutete. Es war höchst unwahrscheinlich, dass Russland der NATO beitreten würde, die jahrzehntelang seine »Laus im Pelz« gewesen war, und es war auch nicht klar, was die Aufgabe der kleinen britisch-französischen Einsatztruppe sein könnte, außer vielleicht friedenstiftende Missionen, die gleichermaßen von den Vereinten Nationen oder anderen Organisationen durchgeführt werden konnten. Die baltischen und osteuropäischen Länder erwarteten sich von einem europäischen Verteidigungspakt andererseits eine Rückversicherung gegen Druck aus Moskau, was der Merkel-Medwedew-Plan kaum vorsah.
Unter diesen Umständen suchten die Osteuropäer eine solche Absicherung eher in einem von der NATO getragenen Sicherheitspakt als einem deutsch-russischen Pakt. Die eingebrachten Ideen, auch die Türkei in dieses Vorhaben einzubeziehen, beruhten auf der Annahme, dass dieser nicht besonders hilfsbereite NATO-Partner daran interessiert sei, »seine europäische Identität zu stärken« (wie es in einem der vielen Positionspapiere hieß). Diese Annahme konnte allerdings keineswegs als gesichert gelten.
Kurzum, die zahlreichen Pläne zur Stärkung der europäischen Sicherheit haben zu keinen bedeutenden Fortschritten geführt. Es ist nicht einmal sicher, dass sie im Fall einer Bedrohung ein Minimum an Sicherheit bieten. Der Hinweis darauf ist kein Euroskeptizismus, sondern eine realistische Einschätzung dessen, was nicht erreicht wurde. Eine effektive Verteidigungsbereitschaft der Europäischen Union existiert schlichtweg nicht und wird aller Voraussicht nach in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren auch nicht entstehen. Hervé Morin, ein früherer französischer Verteidigungsminister (dessen Vorbilder, wie er sagt, de Gaulle und Mendès-France sind), meinte 2010, dass die Europäer entscheiden müssten, ob sie Akteure in einem Stück sein wollen, das sie nicht selbst schreiben.
Passender wäre wohl die Aussage, dass Europäer lieber nicht an die Folgen ihrer Handlungen denken wollen, weil sie wie eine berühmte Romanfigur von Dickens hoffen, dass irgendwas oder irgendwer im Notfall auftauchen wird, um sie zu beschützen. In die gleiche Kerbe schlug Uffe Ellemann-Jensen, ein ehemaliger dänischer Außenminister, der im Dezember 2010 schrieb, wenn die Europäer möchten, dass ihre Ansprüche ernst genommen werden, dann müssten sie Mittel und Wege finden, die Schwäche der europäischen Militärmacht zu überwinden. Die politische Führung wird ihren Wählern erklären müssen, dass den Kürzungen von Militärbudgets Grenzen gesetzt sind, da die »Friedensdividende« vom Ende des Kalten Krieges schon lange aufgebraucht ist. Andernfalls werden die globalen politischen Ambitionen Europas unhaltbar. Es könnte gut sein, dass diese Worte sich nicht auf einen Prozess beziehen, der wahrscheinlich zu einem zukünftigen Zeitpunkt abläuft, sondern auf etwas, was bereits stattgefunden hat. Europas globale politische Ambitionen, so sie noch existieren, werden nicht mehr sehr ernst genommen in Asien oder im Nahen Osten, wo die Verteidigungsausgaben höher sind als in Europa. Wenn Europa zu dem Schluss gekommen ist, dass es sich das Minimum an notwendigen Verteidigungsausgaben nicht mehr leisten kann, wäre es klug, die Wortwahl entsprechend anzupassen, um bei zukünftigen Gelegenheiten keine Peinlichkeiten aufkommen zu lassen.
Amerika: Bemitleidet,
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