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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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heimatlichen Dörfern oder Städten wirtschaftlich betätigen zu können. In Wirklichkeit aber kehrte nur die Hälfte der zwei bis drei Millionen Gastarbeiter, die in den 1960er-Jahren nach Nordeuropa gingen, zurück. Die anderen blieben, legal oder illegal, und holten in vielen Fällen Verwandte und Bräute nach. Die Regierungen der Gastgeberländer waren nicht bereit, juristisch dagegen einzuschreiten. Es entstanden größere ausländische Gemeinschaften – und das zu einer Zeit, als sich die Wirtschaft nach der Ölkrise von 1973 verschlechterte und die Arbeitslosigkeit anstieg.
    Die europäischen Regierungen gaben keine Arbeitsgenehmigungen mehr heraus, was in der Folge die Zahl der Einwanderer nach Europa hätte verringern oder sogar zum Stillstand bringen sollen. Die Zahl ausländischer Arbeitnehmer hätte abnehmen sollen, aber das trat nicht ein. Einmal von der höheren Geburtenrate von Asiaten, Afrikanern und Levantinern abgesehen, gab es eine Reihe von Gründen, die von den Behörden nicht in Erwägung gezogen worden waren. Die Zahl der Angehörigen, die legal oder illegal aus Ländern wie Pakistan, der Türkei und Nordafrika hergebracht wurden, war beträchtlich größer als angenommen. Zweitens nahm die illegale Zuwanderung in erheblichem Maße zu und wurde ein organisiertes Geschäft. Illegale Einwanderer wurden aus dem Nahen Osten über den Balkan und Osteuropa oder über das Mittelmeer nach Italien und aus Nordafrika über Spanien eingeschleust.
    Zuletzt kamen die politisches Asyl Suchenden. 1983 waren es nur 80 000 gewesen; 1992 hatte sich ihre Zahl auf 700 000 erhöht. 2009 wurden 317 000 Asylanträge gestellt, hauptsächlich von Flüchtlingen aus Somalia, dem Irak und Afghanistan. Das Vereinigte Königreich ersetzte Frankreich und Deutschland als Hauptziel. Diese Zahlen sind nicht besonders hoch, aber sie sind wahrscheinlich unvollständig. In Ländern wie Italien und Griechenland hatten Hunderttausende, die illegal ins Land gekommen waren, nie ihre offizielle Anerkennung beantragt.
    Zu Beginn waren die Behörden ziemlich liberal vorgegangen, obwohl die Mehrheit und wahrscheinlich sogar die überwiegende Mehrheit keine politischen Flüchtlinge waren, sondern »Wirtschaftsflüchtlinge« auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder. Unter den Asylanten aus politischen Gründen befanden sich Islamisten oder sogar Terroristen, denen in ihren Heimatländern die Verhaftung drohte, jedoch aus Gründen, die nichts mit dem Kampf um Demokratie und Freiheit zu tun hatten. Soweit sich feststellen lässt, waren einige Einwanderer und auch Asylsuchende Kriminelle, die sich in ihrer neuen Heimat der organisierten Kriminalität zuwandten (insbesondere Drogenhandel, Prostitution, Autodiebstahl etc.). Es gab eindeutig politische Flüchtlinge unter ihnen, doch alle Asylsuchenden erhielten legale und andere Hilfe durch eine machtvolle Lobby aus Menschenrechtsaktivisten und Vertretern der Kirchen. Diese Organisationen sagten, es sei ein Skandal und verletze grundlegende Menschenrechte, Neueinwanderer abzuweisen, und im Zweifelsfall sollte Gnade vor Recht ergehen.
    Allmählich wurde die Haltung der Behörden beträchtlich strenger. Einreisegenehmigungen wurden oft versagt, aber diese Zurückweisungen blieben häufig wirkungslos, weil viele Asylsuchende aus Afrika und dem Nahen Osten ihre Papiere vernichtet hatten und behaupteten, sie seien verloren gegangen. Die Geschichten ließen sich selten verifizieren, und sobald die Betreffenden den Fuß auf europäisches Territorium gesetzt hatten, wurde es praktisch unmöglich, sie zu deportieren. Das Schengenabkommen schaffte Grenzkontrollen innerhalb der EU ab und erlaubt allen EU-Bürgern und legalen Einwanderern, sich 90 Tage in den Mitgliedsländern aufzuhalten, obwohl es den Einwanderern nicht automatisch erlaubt, in Europa zu arbeiten, wie viele glauben. Diesem Abkommen zufolge kann ein Einwanderer, wenn er den Fuß auf EU-Territorium gesetzt hat, sich frei von einem Land ins andere bewegen.
    Deutschland war von 1990 bis 2000 mit Abstand das Hauptziel der Asylsuchenden (etwa zwei Millionen), gefolgt vom Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Frankreich. Infolge der Einführung strengerer Kontrollmaßnahmen fing die Zahl der echten wie falschen Asylsuchenden nach 2002 an abzunehmen. Die ethnische Zusammensetzung der Einwanderer veränderte sich ebenfalls. In jüngster Zeit kommt die Mehrheit aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion wie auch

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