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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Panzergarderegiment zugeordnet. Sein Zorn auf Schostakowitsch war nicht geringer als der auf den Feind. Trotzdem bewegte ihn etwas zur Sanftmut. Oh, ihre Sanftmut, süß wie Milch!
    Er erhob sich, lächelte und sagte: Erinnern Sie sich noch an Robespierres letzte Worte? Ganz bestimmt.
    Als Sie ihm den, den, seinen Verband abrissen, meinen Sie? Und er …
    Sie sind gebildeter als ich. Ich bin ein einfacher Straßenköter aus Odessa. Vor seiner Verhaftung hat er sie wüst beschimpft, und sie sagten, warum sollte sich die Sache des Volkes von der verletzten Eitelkeit eines Einzelnen aus der Bahn werfen lassen? Sie und ich, wir sollten uns beide in Optimismus üben, Dimitri Dimitrijewitsch.
    Schostakowitsch starrte ihn an. Er riss den Mund weit auf, wie zum Schrei.
    26
    1945 führte er Regie bei »Berlin«. (Untersetzt und mit schütterem Haar, gut gelaunt in seiner großen Anzugjacke nahm er ein Straßenschild mit Einschusslöchern als Andenken mit nach Hause, »Unter den Linden«.) Irgendwie fand er die Zeit, gleichzeitig mit Trojanowski
an »Albanien« zu arbeiten. Im Jahr darauf übernahm er die Regie der sowjetischen Dokumentation über die Nürnberger Prozesse. [ 27 ]
    Mit weißem Haar filmte er 1954 Ho Chi Minh, hellwach auf einen Ellenbogen gestützt, während der vietnamesische Staatsmann einen Arm zum Gruß erhob. (Im gleichen Jahr starb der Formalist Dsiga Wertow, schon lange von unserem öffentlichen Leben ausgeschlossen, an Krebs.) Im Jahr 1955 kam sein Film »Vietnam« in die Kinos und erhielt von offizieller Seite viel Zustimmung. Selbst der US -amerikanische Monopolpropagandist Burt Lancaster musste anerkennen (wenn auch vielleicht nicht im Kontext dieses antiamerikanischen Films), Karmen sei voll leidenschaftlicher Liebe für das Leben und die Menschen, und zugleich voll des unversöhnlichen Hasses auf Krieg, Gewalt und Faschismus.
32 Karmens Arbeit in Nordvietnam war gefährlich gewesen, aber auf dem Empfang nach der Premiere schaufelte er sich Kaviar auf einen Keks und sagte: Mein Vater war vierundvierzig, als er starb, dank der Weißen Garde. Ich bin im Jahr 1950 vierundvierzig geworden. Also was auch geschieht, ich liege vorn! – Dann warf er den Kopf zurück und lachte, ganz wie unser Lieblingsschauspieler aus »Wolga-Wolga«.
    Ein Aufsatz, den ich im Keller der Bibliothek gefunden habe, nennt sein Werk »Weit ist mein Land« (1958) als ersten Film, bei dem das Kinopanorama-System mit der breiten, gekrümmten Leinwand zum Einsatz kam, mit neun Stereo-Tonspuren (und ganz nebenbei erfahren wir, dass das US -amerikanische Gegenstück nur über sieben verfügte). Leider erwies sich das Problem, die drei Projektoren präzise aufeinander abzustimmen, als überaus kompliziert, und so erfahren wir aus der Großen Sowjetischen Enzyklopädie, Kinopanorama sei nach 1963 immer seltener zum Einsatz gekommen.
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    Er gehörte zu den Delegierten des XXV . Parteitages in Moskau. Ich habe ihn eisern den ostdeutschen Staatsratsvorsitzenden Honecker anlächeln sehen; dessen Lächeln wirkte im Vergleich gequälter, eher wie das von Hilde Benjamin; Karmen dagegen ist sein Leben lang »natür
lich« geblieben. Deshalb haben wir ihn alle so gemocht:
Dolores Ibárruri, Vorsitzende der Kommunistischen Partei Spaniens, pries ihn und lächelte immerzu; Castro sagte von ihm: Im Namen unseres Volkes danken wir dir für deine großzügige und tiefe Freundschaft zu uns;
34 Salvador Allende sprach von meinem Freund Roman Karmen.
35 Aus dem gleichen Grund war er an der Moskauer Filmakademie für seine lockere Nähe zu den jüngeren Studenten berühmt, Männern wie Frauen. Aber diese Details lenken nur vom wahren Ende seiner Geschichte ab.
    Im Jahr 1965 kam unter seinem Namen der Film »Der Große Vaterländische Krieg« heraus. Zwei berühmte Einstellungen: Ein gehetzter Mann presst sich den Hut an die Brust; ein gelassener alter Soldat salutiert.
    Im Jahr 1966, kurz bevor er als Tourist noch einmal nach Spanien zurückkehrte, wurde er zum Volkskünstler der UdSSR ernannt. (Ich weiß noch, wie dünn und dunkel er früher war, wie ein französischer gamin , wenn er 1933 am Schwenkgriff seiner Filmkamera stand, bei den Dreharbeiten zu »Moskau–Kara-Kum–Moskau«.) Der Kinoslowar aus jenem Jahr beschreibt den Film als auffallend gefühlsbetont, aber die Gefühle sind durchweg heiter , was bedeuten soll: dramatisch bemerkenswert, aber immer im Geiste des Gemeinsinns.
36 Drobaschenko nennt ihn im selben Atemzug mit dem großen

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