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Aufnahmen des gefangengenommenen faschistischen deutschen Feldmarschalls machte, eines gewissen F. Paulus, der, wie ein frisch Verstorbener, seine einstige Würde noch nicht ganz abgestreift hatte; in einer Woche würde er ein Kriegsgefangener sein, ein Niemand, aber jetzt wusste er noch, wie man stolz in Uniform aufrecht saß. Und doch, wie starr sein Blick war! Er erinnerte Karmen an jemanden, aber er wusste nicht an wen. Unglücklicherweise war das Licht für Filmaufnahmen nicht gut genug. Ich habe Material von Karmen in Wjasma gesehen, er steht zwischen seinen Kollegen, den Kamerasoldaten K. M. Simonow und B. Zeitlin. In seinem unförmigen Mantel, unter der Pelzmütze, erinnert er seltsam an einen Straßenjungen, und o wie er lächelt, mit leicht vorstehenden Zähnen; ja, er sieht aus wie ein Franzosenkind, das sich verlaufen hat. Simonow zieht an seiner Pfeife und wirkt wie der Authentischste der Drei. Zeitlins blasses Grinsen unter der Mütze ist angespannt und Karmens Lächeln verhalten. Hinter ihnen Trümmer und schmutziger Schnee.
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Er besorgte die kniffligsten Kameraeinstellungen für L. Arnstams Film »Soja« aus dem Jahr 1944, mit einer Filmmusik von Schostakowitsch: Zoom auf den Nazioffizier, der in die Lampe blickt und den Kampf gegen sich selbst verliert; dann Schwenk auf Soja, die aufrecht in ihrer wattierten Jacke vor ihm steht, wunderschön, zornig und voller blauer Flecken; sie ist bereit, die bittere Pille zu schlucken, entschlossen, sich nicht zu schonen und zu sterben. Schnitt auf ihre blutigen Lippen, nah, sie sagen: Ihr könnt nicht alle hundertneunzig Millionen Russen aufhängen.
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Schostakowitsch wollte wissen, ob der Rhythmus einer bestimmten Totale des Galgens geändert werden sollte, wegen der Tempi der, Sie wissen schon. Es war sonst gerade niemand im Studio. Arnstam war zu neuen Diskussionen ins Ministerium geeilt. Soja hatte sich eben die Schminke von den Lippen gewischt, stand hinter der halb offenen Ba
dezimmertür und flirtete mit dem Nazioffizier. [ 26 ] Der Techniker war zum Wodkatrinken in die Dunkelkammer gegangen.
Karmen legte Schostakowitsch die Hand auf die Schulter und sagte: Es macht Sie hoffentlich nicht traurig, mit mir zu arbeiten, so wie die Dinge stehen.
Darum geht es nicht, Roman Lasarewitsch, oh nein, überhaupt nicht! Wissen Sie, Sie sind im gleichen Jahr wie ich geboren, fast am gleichen Tag! Drei Wochen Abstand – was für ein schmaler Schützengraben! Das macht uns, sozusagen, zu Zeitgenossen. Offenbar mag sie ältere Männer. Weil wir, ich, Sie wissen schon. Nun, das ist ein anderes Thema. Worum es geht, worum es hier geht, verstehen Sie, in unserer sowjetischen Heimat, für uns … – und hier verzogen Schostakowitschs Lippen sich spöttisch und zerflatterten zu einem trotzigen, sarkastischen Grinsen – ist der Film die wichtigste Kunstform, nicht die Musik.
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Mein lieber Dimitri Dimitrijewitsch!
Nein, no, njet, never! Um dieses Schwein Dimitri Dimitrijewitsch geht es mir hier nicht. Der Film ist die wichtigste … Lenin selbst hat das gesagt, wie Sie wissen. Wer will Wladimir Iljitsch widersprechen? Elena bestimmt nicht, sie war nämlich, Sie wissen schon. Und das Ergebnis ist bekannt …
Das Ergebnis des Widerspruchs?
Sind Sie, wie soll ich sagen, verrückt geworden?, kreischte Schostakowitsch erschrocken. So habe ich es natürlich nicht gemeint! Damals, als sie, nein, nein! Sie hat nicht einmal … Das Ergebnis des, des, ich bezie
he mich da auf den Sowjetfilm unserer sowjetischen Heimat von heute! Und der Genosse Stalin hat den tiefen und gerechten Gedanken Lenins bekräftigt und ihn, sozusagen, exekutieren lassen.
Was Karmen als Nächstes tat, veranschaulichte, wofür wir ihn so mögen. (Er ertappte sich, wie so oft, bei dem Gedanken: Eine der Macken dieses Menschen ist eigentlich meine, aber ich weiß nicht, welche.) Er ging vor Schostakowitsch in die Hocke, wippte drahtig in den Knien und sagte: Was diese Sache angeht, gibt es keinen Grund, nachtragend zu sein, Dimitri Dimitrijewitsch, absolut keinen. Ich denke, Sie wissen warum.
Schostakowitsch schwieg; Schostakowitsch wandte den Blick ab. Und das erboste Karmen unaussprechlich. Er lächelte dieser Tage nicht oft. Ein Jahr darauf, als er zuverlässig und mitleidlos seine Aufnahmen der Trümmer Berlins machte, den Kopf von einem weißen Verband in drei Zonen unterteilt, hatte er überhaupt nichts mehr von dieser jungenhaften Ausstrahlung. Er war inzwischen dem 2.
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