Europe Central
gehört, sagte Wlassow in Erwartung seiner Erschießung.
Du willst also nicht, dass deine Partisanenfreunde hingerichtet werden. Deine kleine Soja hat dich versorgt, was? Nun, das verstehen wir. Wir werden später schon aus dir herauskriegen, wie sie heißen und wo sie sind. Aber vielleicht hast du falsche Vorstellungen von uns. Wir arbeiten gern mit Menschen zusammen, die ihre Fehler offen eingestehen.
Ich habe Fehler gemacht, sagte Wlassow bleich. Sonst wäre ich nicht hier.
Na, denk mal drüber nach, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Du hast alle Zeit der Welt.
Wie viel Zeit?
Den Rest deines Lebens.
8
Alle sagten sie ihm immer wieder, er solle darüber nachdenken. General Lindemann, ein ausnehmend gutaussehender Mann, noch prächtiger durch das schwarze Kreuz an seinem Hals, den glitzernden Metalladler, die Reihe von sechs Knöpfen, die jeder so blendend strahlten wie die Sonne, riet ihm, die Frage moralischer Ebenbürtigkeit zu erwägen. Wlassow musste sich daran erinnern, dass solche Argumente nicht im Mindesten objektiv motiviert waren; trotzdem konnten sie stichhaltig sein. Er dachte darüber nach. Selbst wenn sie ihn fragten, wie viele Panzer und Geschütze er im Wolchow-Kessel befehligt habe, und er es ihnen sagte, baten sie ihn, es sich noch einmal zu überlegen, nur für den Fall, dass er etwas übersehen habe. Als sie ihn nach Merezkows neuen Divisionen befragten, sagte er ihnen (den Kopf unbeholfen gebeugt wie später auf den offiziellen Fotos der Propagandisten; seine seltsame dunkle neue Uniform – schlicht und braun, nicht deutsch – war ihm viel zu groß und stand von ihm ab wie Blech), seine Soldatenehre verbiete ihm jeden Kommentar, und sie sagten, dass sie das verstünden. Dann schlugen sie ihm vor, länger darüber nachzudenken. Bleich und ängstlich zeichnete er mit dem Zeigefinger unsichtbare Bögen auf eine Karte, und General Lindemann sah zu. Ihr Stenograf schrieb alles mit. Sie dankten ihm für seine Informationen und nannten sie sehr hilfreich und wichtig. Langsam packten ihn die Schuldgefühle, und er fragte sich, wie viel er verraten hatte oder ob das nur einer ihrer Tricks war …
Aber er sagte sich: Ich muss realistisch sein. Ich muss retten, was zu retten ist.
Ein Offizier von der Aufklärung schenkte zwei Gläser Cognac aus Paris ein. Wlassow erschrak vor seiner eigenen Dankbarkeit. Der Offizier sagte: Ich bewundere Ihre fanatische Entschlossenheit. Der Polenfeldzug wird in den Geschichtsbüchern nicht mehr als einen Absatz ausmachen. Aber über euch Slawen werden wir ein ganzes Kapitel schreiben müssen! Wissen Sie, was ich im vergangenen Sommer meiner Frau gesagt habe? Ich habe ihr erzählt, was mein Kommandeur mir versprochen hatte. Keine Angst, habe ich gesagt. In sechs Wochen ist die Russenfrage gelöst.
Wlassow lachte leicht, der Mann war ihm nicht unsympathisch. Draußen sang eine Stimme aus dem Lautsprecher geradezu höflich: Juden und Kommissare vortreten!
Jedenfalls, gegen unsere neuen Achtundachtzig-Millimeter-Geschütze haben eure Panzer keine Chance.
Nun ja, sagte Wlassow mit traurigem Lächeln, wir haben schon zwanzigtausend Panzer verloren.
9
Nach gründlichem, aber korrektem Verhör in Lotzen schickten sie ihn nach Winniza in der Ukraine, wo ihn ein behagliches Gefangenenlager erwartete – ein wirklich schönes, wo all die vorläufig Begnadigten selig Schlaf aufleckten wie eine Katze die Milch. Auf der Reise war es heiß, aber die Deutschen hatten einen Sonderwagen für ihn, wo er die Beine ausstrecken konnte, in Gesellschaft einiger völlig korrekter SD -Polizisten. – Sie müssen keine Angst haben, sagte der Hauptmann, aber vor der Einreise ins Reich müssen alle Russen am Bahnhof Eydtkau entlaust werden … – Wlassow setzte ein gleichgültiges Lächeln auf und harrte des Kommenden. Die Handlungsfreiheit seines früheren Lebens kam ihm nun wunderlich vor, aber dann erinnerte er sich daran, dass es kaum seine Entscheidung gewesen war, sich in den Wolchow-Kessel stecken zu lassen und dort einen sinnlosen Kampf zu kämpfen. Was, wenn dies alles sein Gutes hatte? Als der Genosse Stalin ihn nach China entsandt hatte, war ihm nicht klar gewesen, was ihn erwartete, und doch hatte er dort seine Pflicht erfüllen können, ohne jemanden zu enttäuschen; Tschiang Kai-schek hatte ihm sogar den Orden des Goldenen Drachen verliehen, auch wenn er bei der Wiedereinreise in die Sowjetunion von der Geheimpolizei beschlagnahmt worden war, der
Weitere Kostenlose Bücher