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jenen blitzsauberen deutschen Mördern, die Archivare und Fahnder später auf Fotografien aufspüren würden, wie sie fröhlich am Grubenrand des jüngsten Massengrabes posierten. Stattdessen brachten sie ihn zur Einstufung ins Feld-Stalag.
Die Feldpolizei erkannte ihn sofort. Man sagte ihm: Keine Sorge, Herr General. Sie sind ein politisch akzeptables Element.
Wlassow rechnete weiter damit, erschossen zu werden. Aber stattdessen wurde er respektvoll ins Hauptquartier eines deutschen Generals in einem feldgrauen Mantel überstellt. Der deutsche General hieß H. Lindemann. Er befehligte die 18. Armee. Und General Lindemann sagte Wlassow genauso sanft, wie er mit einem seiner eigenen verwundeten Soldaten gesprochen hätte: Nun, für Sie ist der Krieg vorbei. Aber Sie haben ehrenvoll gekämpft, das muss ich sagen. Sie haben uns das Leben zur Hölle gemacht, mein Freund, das können Sie mir glauben …
Wlassow verbeugte sich leicht und nippte an dem Tee, den General Lindemanns Ordonnanz ihm eingeschenkt hatte.
Wenn Sie die verdiente Verstärkung bekommen hätten, Sie hätten durchaus die Oberhand gewinnen können! Ha ha, sehen Sie sich diese Karte an! Sehen Sie diese Lücke in meinen Linien, gleich hinter Ljuban?
Jeden Tag, besser gesagt, bis fast in den April hinein, habe ich meinen Stabsoffizieren gesagt: Meine Herren, beten wir, dass Wlassow keine Verstärkung bekommt … .
Herr General, hätte ein deutscher Offizier sich an meiner Stelle erschossen?
Gütiger Himmel, nein! Für jemanden wie Sie, der mit seiner Einheit bis zum allerletzten Augenblick gekämpft hat, ist Gefangennahme keine Schande … Warum sehen Sie mich so an?
9
Ich bitte um Vergebung, Herr General. Ich bin ein wenig müde …
Wir sind nicht die Ungeheuer, die Ihr Präsident Stalin aus uns machen will. Wir sind Menschen.
Wlassow lächelte trocken, in Erwartung seiner Erschießung.
Sie werden sich sicher fragen, warum wir gekommen sind, sagte Lindemann. Ich persönlich war dagegen, aber die persönliche Meinung zählt heutzutage nicht. Das Schicksal hat Deutschland einen großen Genius gesandt: Adolf Hitler. Wir schulden ihm Gehorsam.
Wlassow schwieg.
Und jetzt will ich Ihnen etwas sagen, fuhr General Lindemann mit äußerster Freundlichkeit fort. Für mich ist der Bolschewismus ein Verbrechen, verübt gegen die Welt im Allgemeinen und Russland im Besonderen. Die Slawen sind durchaus in der Lage, ethisch zu denken, wie ich von Dostojewski weiß und von – nun, Tolstoi ist nicht wirklich männlich –, und doch haben sie sich erlaubt, sich dazu verführen zu lassen, diesen, nun, bitte entschuldigen Sie, Mördern anzuhängen.
Zu diesem Thema könnte ich Ihnen einiges erzählen, Herr General.
Beide hörten sie das Jaulen der herannahenden Granate, aber das hatte nichts zu sagen. Dann kam der Adjutant mit einer Meldung hereingelaufen, stand kurz dumm da und schlich sich dann langsam rückwärts hinaus, noch immer mit dem Zettel in der Hand, der nicht so wichtig gewesen sein konnte. Die russische Granate flog ihnen über die Köpfe hinweg und schlug dann irgendwo weiter westlich dumpf ein.
Sehr gut, General Wlassow. Was, wenn es gar nicht wahr ist? Was, wenn wir doch Ungeheuer sind? Erklären Sie mir, warum das unsere Kritik an euren Ungeheuern entkräften sollte? Denken Sie darüber nach. Und nun werden, wie ich fürchte, unsere Jungs von der Aufklärung sich Ihnen ein wenig aufdrängen wollen …
Und so wurde er von Deutschland geschluckt. Deutschland war ein Ungeheuer aus Gummi, Öl, Gold, Stahl und Chromerz.
7
Der Mann hinter dem Schreibtisch aus Stahl bot ihm eine Zigarette an. Ein Verdunklungsvorhang verhüllte etwas an der Wand, eine Lagekarte vielleicht. Der Mann sagte: Glaub ja nicht, dass ich mit all diesen Maßnahmen einverstanden bin.
Welchen Maßnahmen?
Und jetzt wird er auch noch frech, sagte der Mann. Man stelle sich vor. Wir schreiben das Jahr 1942, und ich muss mir hier von einem Slawen frech kommen lassen. Ist mir scheißegal, was der Herr General sagt. Das muss hier wohl ein anderes Land sein. Russland kann das nicht sein. Was meinst du, Slawe? Glaubst du, das erklärt, was hier vorgeht?
Wlassow wartete darauf, dass man ihn folterte oder erschoss.
Wo warst du?
Ich bin gefangengenommen worden. Im Dorf Tuchowetschi.
Das wissen wir. Jetzt erzähl mir mal, warum es so lange gedauert hat, bis wir dich hatten.
Ich bin nie an einem Ort geblieben.
Wer hat dich versteckt.
Ich habe von Ihrem Barbarossa-Dekret
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