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unter zerschundener Haut. Sie habe kein Recht dazu, sagten ihr die Kommunisten, denn sie sei keine von ihnen. Aber die Familie hatte sie gebeten zu kommen. Sie hatten ihm rote Rosen auf die Stirn gelegt, um die Einschusslöcher zu verdecken. Draußen sangen die Rechten Heil Dir im Siegerkranz.
Liebknecht war nicht der Letzte. Es wurde fast unerträglich, aber natürlich war es nicht mit dem Weltkrieg zu vergleichen. Ehrlich gesagt, was konnte sie anderes tun als arbeiten und manchmal ein Nickerchen in Peters Zimmer halten, wenn Karl nicht da war und sie ihm damit nicht wehtat? Was er immer von ihr gewollt hatte, war grenzenlos wachsende Nähe. Nun wusste sie, dass sie so etwas nie wollen würde, nie. Dafür war kein Platz.
Die Züge Berlins schossen weiter über die Stahlbrücken hin; die Züge Berlins bohrten sich weiter unter ihnen hindurch. Unsere erschöpften altgedienten Frontsoldaten hielten weiter ihre Versammlungen ab; Alte Kämpfer nannten sie sich nun, obwohl die meisten noch keine Dreißig waren. Rechte und Linke brachten einander um in ihrem Zorn.
Sie besuchte die Leichenhalle und zählte zweihundertvierundvierzig Ermordete, nackt hinter Glas, die Kleider über die Bäuche hochgerollt. Sie hörte die Menschen weinen, die diese Toten liebten. Sie sagte sich: O welch jammervoll trauriger Ort …
10 – dann ging sie heim in die Weißenburger Straße, um mit Tränen zu ätzen und mit Blut zu malen, was sie gesehen hatte. Natürlich war es im Weltkrieg schlimmer gewesen; das durfte sie nie vergessen.
Frau Becker war wieder ein Kind weggestorben. Da sei nichts zu ma
chen gewesen, sagte Karl, bei den Bedingungen, unter denen die Familie leben musste. Die Sache bewegte ihn wirklich. Die Kinder, die noch lebten, schienen auch nicht viel zu wachsen. Sie wusste noch, wie Peter mit vierzehn plötzlich ins Kraut geschossen war …
Sie konnte Frau Becker in Karls Sprechzimmer schluchzen hören. Karl gab ihr sicher ein Beruhigungsmittel. Dann kam dieser Kaufmannslehrling nach Hause, obwohl es jetzt schon fast Mitternacht war; sie konnte ihn husten hören; und die Luft von Karls Sprechzimmer, dampfig von Tränen und Auswurf, stieg zu ihr auf und hüllte sie ein. Sie würde noch einen Holzschnitt von Frau Becker anfertigen, aber nicht jetzt, ihr fehlte die Kraft. Manchmal fühlte sie sich taub, und dann wurden ihre Arbeiten nicht gut; sie sehnte sich danach, etwas zu fühlen. Aber wenn das Gefühl zurückkam, überwältigte es sie oft, und dann konnte sie nur noch weinen oder zu Boden starren. Sie ging in Peters Zimmer und schloss die Tür. Hier kam sie zur Ruhe.
Vor vielen Jahren hatten Karl und sie gestritten, also hatte sie allein geschlafen. Dann hatte Peter, der ganz klein war, einen Alptraum, und kam zu ihr ins Bett gehuscht. Sobald sie ihn an sich drückte, fiel all ihre Trostlosigkeit von ihr ab. Ganz so war es jetzt natürlich nicht mehr. O, sie war so müde, so müde! Sie war noch nicht so alt, dass sie das Recht gehabt hätte, müde zu sein. Arbeite!, sagte sie sich.
Sie arbeitete ohne Bezug auf den hitzigen Protokubismus jener Jahre, in denen die gegenständliche, klassische Vergangenheit so tot war wie das Zweite Reich, tot, tot! – so tot wie die zaristischen Offiziere, die nun in ihre schmutzigen, von Unkraut überwucherten Paradeplätze versunken waren, damit ihnen die Parteisoldaten Lenins und Stalins über die verwesenden Gesichter marschieren konnten. Seit 1912 hatte sie am Siegmunds-Hof einen Raum für ihre Plastiken. Dort würde sie die trauernde Frau aus Stein hauen. Meist schnitzte, radierte und malte sie in der Wohnung an der Weißenburger Straße. Die Figuren in den Gemälden anderer Künstler wurden in jenen Jahren immer flacher, greller, entstellter, die Farben taten ihr weh, auch wenn ihr manche der galoppierenden kalligrafischen Reiter bei Kandinsky gefielen. Die verzweifelt wütenden Karikaturen von Grosz, Otto Dix' röntgenscharfe Bitterkeit, vom abstrakten Konstruktivismus gar nicht zu reden – auf dieser Welle ritt sie nicht. Käthe Kollwitz malte weiter Arme, Hungernde (weiße Figuren auf dunklen Feldern, dunkle Kreide auf braunem
Ingrespapier), vergewaltigte Frauen, Mütter mit sterbenden Kindern, Mütter mit toten Kindern. Am Ende bildete sie vor allem sich selbst ab, ihr waidwundes Affengesicht, trauernd und grübelnd. Auch sie war eine Mutter mit totem Kind.
2
Der Sohn war rasch gestorben. Er war der Erste seines Regiments, der fiel. Er starb unschuldig, wie
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