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herrlich. Die Briefe, die er ihr schrieb, wurden inbrünstiger und sinnlicher denn je. Er wusste zwar, dass sie von der Zensur gelesen wurden, eine der Tatsachen des Lebens, die ihn früher eingeschüchtert hatten, aber jetzt machte es ihm nicht mehr so viel aus; oft stellte er sich beim Einschlafen vor, daheim bei ihr zu sein, und sie würden die ganze Nacht lang dösen, bis jener erste Strahl der Morgensonne hereingedonnert käme wie ein Leuchtspurgeschoss und auf die weißen Bände im Bücherregal träfe; Cocas Höschen würde am Stuhl hängen, und im Schlaf würde sie ganz zart das Gesicht an seine Schulter schmiegen.
Als am 8.11.42 die anglo-jüdische Allianz in Französisch-Marokko und Algerien landete, wusste er, dass Rommel geschlagen war. Er zündete sich eine Zigarette an. In Stalingrad war alles ruhig. Von hinter den feindlichen Linien erklangen die ewigen russischen Lieder zum Akkordeon und diese sinnlosen, barbarischen Schüsse; konnten ihre Kommandeure nicht für Disziplin sorgen? Wenn wir sie gefangen nahmen, waren sie unrasiert und stanken – echte Slawen. Was trieben sie nur? In seinem Kopf rollten tausend Planspiele ab. Beim Feind herrschte weiter Funkstille. Schmidt ermahnte ihn, sich keine Sorgen zu machen; er sehe außergewöhnlich müde aus, sagte Schmidt.
Am 11.11.42 meldete Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B, die Rote Armee habe eine neue Donfront eröffnet.
37 Der Signalaufklärungsbericht warnte ihn vor verstärktem Nachtverkehr an der Eisenbahnachse Urbach-Baskuntschak-Achtuba. Das hatte wahrscheinlich nicht mehr zu bedeuten als feindliche Verteidigungsanstrengungen. In den Verhörberichten der Kriegsgefangenen immer nur ein leeres Betteln um Gnade.-Einsatzgruppenführer Weiß brachte ihm bei einem jüdischen Bolschewisten beschlagnahmte Unterlagen, die auf größere Truppenbewegungen an der Achse Stalingrad hindeuteten; leider war dieser Jude, den Paulus gerne weiter befragt hätte, bereits »in die Etappe versetzt« worden – also neutralisiert. Schweigend stand Paulus auf, verbeugte sich knapp vor dem Einsatzgruppenführer, der schließlich nur seine Aufgabe erfüllt hatte, und lächelte ihn freundlich an. Dann traf er zu einem kleinen Meinungsaustausch mit seinen Offizieren zusammen, die alle kaum beunruhigt wirkten, was die Zukunft anging,
vorausgesetzt, es würde etwas für die Truppenstärke der 6. Armee getan. Er fühlte sich verpflichtet, ihnen mitzuteilen, dass auf ihr »vorausgesetzt« gewisser Umstände wegen kein Verlass sei. Schweigend saßen sie da. (Er war vielleicht nicht ganz in Form. Ernst war schwer am Oberschenkel verwundet worden; im Grunde war der Fall für ein Frontlazarett nicht zu schwer, aber er hatte ihn trotzdem zur Rekonvaleszenz heim ins Reich geschickt, nicht um seinetwillen, sondern Cocas wegen, eine Entscheidung, die seinem Sohn das Leben retten sollte.) Er versammelte sie um die Karte und wies sie auf den sowjetischen Brückenkopf hin, der nun die rumänische 3. Armee bedrohte. Dies, erklärte er, sei ein Zeichen unserer Schwäche; niemand könne ihn neutralisieren. Sie starrten ihn an, die meisten grimmig und unrasiert, und er sagte ihnen, er erwäge ernsthaft, das OKW davon in Kenntnis zu setzen, dass er sich auf Don und Tschir zurückzuziehen wünsche, bevor sie vom Winter eingeschlossen würden. Ihre Antwort war stille Verachtung. Er sagte: Meine Herren, wenn Sie anderer Meinung sind, müssen Sie sich klarer ausdrücken. Wir alle wollen Stalingrad unserem Führer zu Füßen legen … – Daraufhin drückten sie sich klar aus; und wie! Keiner von ihnen wollte sich nachsagen lassen, er glaube, es mangele der 6. Armee an dem nötigen Fanatismus, um ihren Auftrag zu erfüllen. Generalmajor Schmidt rief fröhlich: Nun, Herr Generalleutnant, wir scheinen alle einer Meinung zu sein! – Mit einem mitleidigen Lächeln sagte Paulus, in diesem Fall werde er seine Empfehlung eines Rückzuges für den Augenblick zurückstellen. Der Signalaufklärungsbericht des Folgetages bekräftigte, dass es ungewöhnliche Eisenbahnaktivitäten in Richtung Stalingrad zu geben schien. Er fragte im Führerhauptquartier nach, erhielt aber keine Antwort. (Dort müsste man mal jemanden vors Militärgericht stellen.) Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B versicherte ihm, die neuen Truppenkonzentrationen seien weiterhin für weitreichende Operationen viel zu schwach.
Plötzlich halb gelähmt vor Angst, begriff er, dass etwas im Gange war, und um 06:30 Uhr am
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