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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Waffen abschreiben. Und was dann? Erst geben wir Stalingrad auf; dann vollziehen wir Napoleons Rückzug nach. Sie werden die Lektion der Geschichte doch nicht vergessen haben, meine Herren. Am Anfang hatte er vierhunderttausend Mann. Beim Abzug aus Moskau waren es noch hunderttausend. Wenn das keine Zermürbung ist! Dann der Rückmarsch. Mit zehntausend ist er in Polen angekommen …
41 Man erwartet einen Gegenangriff von uns, beharrten sie.
    Wer hat das gesagt?
    Ich habe gehört, dass der Führer persönlich …
    Aber Generalmajor Schmidt telefonierte wieder. Heeresgruppe B verfügte über keine Kräfte für einen Gegenangriff mehr.
    General Hoth fragte sich laut, ob die Heeresgruppe A sie entsetzen könne, worauf Paulus sich gezwungen sah, ihm mit einem einzigen Schwung seiner Kartenhand die Weite der Kalmückensteppe aufzuzeigen.
    Die bittere Wahrheit, die sich ihm von allen Seiten aufdrängte, konnte nicht geleugnet werden, obwohl er sich gegen einen Rückzug ausgesprochen hatte, teils, weil ein Entschluss von dieser Drastik zuerst in aller Ruhe abgewogen werden musste, und teils, um sein Vertrauen in unseren Führer zum Ausdruck zu bringen, der ihn schon der Feigheit bezichtigte, nur weil er sich hatte ausfliegen lassen, wie er hörte. Man verlangte seine sofortige Rückkehr zur 6. Armee. Er solle sich einigeln und auf weitere Befehle warten. Feldmarschall von Manstein solle das Kommando über die neue Heeresgruppe Don übernehmen. (Coca mochte Mansteins Frau, Jutta Sibylle, recht gern.) Für den Augenblick war jeder Ausbruchsversuch untersagt. Woronesch und Stalingrad waren unsere beiden Stützpunkte in diesem Gebiet. Beide mussten bis zum letzten Atemzug gehalten werden. Sie sagten Paulus: Der Führer hat die Luftwaffe angewiesen, Sie mit allen Nachschubgütern zu versorgen …
    General Heim, der nichts Falsches getan hatte, war verhaftet und zum Tode verurteilt worden, wurde aber später von seinen Kameraden gerettet. Von diesen Unterstellungen erzürnt und beschämt – im Grunde fühlte er sich wie einer jener Verbrecher im Mittelalter, die verurteilt wurden, von Pferden gevierteilt zu werden; wo konnte er hin? was sollte
er tun? –, aber ohne etwas davon zu zeigen, abgesehen vom Zucken im Gesicht, schnallte Paulus sich wieder in seinem Fieseler-Storch fest, neben sich ein Geschenk von General Hoth: rumänischen Rotwein und einen Kasten Veuve Clicquot aus Paris. Er war zu gut für diese Menschen. – Sind Sie fest angeschnallt, Herr Generalleutnant? Zeit für Ausweichmanöver. Es wird vielleicht ein bisschen holprig … – Diese Luftwaffe-Piloten hatten wirklich das Tapferkeitsabzeichen verdient! Er wünschte, er könnte ihnen allen Orden verleihen. Den Blick mit der gleichen Leichtigkeit in die Zukunft gerichtet wie früher, sorgte er sich um die langfristige Kraftstofflage der 6. Armee: Benzin schenkt uns nicht nur Wärme, sondern auch Mobilität. Schmidt starrte ihn an; er wandte sich ab. Da kamen schon die langen Tallippen des Aksai-Flusses, der Fluss war zugefroren, dann die Vier-Meter-Schneewehen, die ihm so vertraut waren, der gelbgraue Himmel, die langen dunklen Kolonnen eingefrorener Lastwagen auf dem Weiß des Rollfelds von Gumrak, graue Zelte im Schnee, der Bahnhof, wo sich nun unser Hauptquartier befand (denn Golubinskaja, das Hauptquartier, aus dem er gestern ausgeflogen worden war, war inzwischen in Feindeshand), die eingekesselte Armee, für die die Zeit stillstand wie für Ritter in silbernen Rüstungen in einem Museum, denen das ganze Ritterfleisch unter der Panzerung längst weggefault ist. Dem-Chirurgen zufolge hatten sich ein paar Dutzend Männer Erfrierungen der Augenlider zugezogen. – Danke, sagte Paulus. Sie können abtreten. – Er befahl seinen gesamten Stab zu sich, um die Aufstellung der feindlichen Angriffstruppen auszuwerten. Danach grübelten sie über dem schwarzen Glanz von Paulus' Formationen, über die halb reale graue Karte gelegt, die nie Feindtruppen zeigte. Erst Verteidigung, dann Vorbereitungen zum Ausbruch; so war nun vorzugehen. Die vorderste Linie hatte vor Kotelnikowo zu verlaufen. Sobald klar geworden war, was er als Nächstes zu tun hatte, musste er seine Anstrengungen vervielfachen. In den weißen Handschuhen fühlten sich seine Fingerspitzen sehr kalt an, und sein Mund war trocken. Er musste sich für den Augenblick der Entscheidung frisch halten, aber wann würde dieser Augenblick kommen? Um seiner eigenen Gemütsruhe willen, von der das Ergebnis

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