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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Offiziers, also würde sie nicht schwach werden; je schwieriger es um Stalingrad stand, desto stolzer war er auf sie und sich selbst. Stück für Stück überwand er seine Ehrfurcht vor ihr, die nie wirklich unangenehm zwischen ihnen gestanden hatte; all die Jahre hatte er seine Votivgöttin angebetet, ihr sein Tiefstes, Bestes dargeboten, um ihren Stolz und ihre Liebe zu erringen, die sich so süß auf ihn legten wie ihr Haar auf sein Gesicht, wenn sie einander umarmten; aber nun war sein Leid und das seiner Armee, deren Soldaten er wie jeder gute General als Verlängerungen seiner selbst empfand, für alle Beteiligten so unbestreitbar geworden, den Feind eingeschlossen, dass auch seine Tapferkeit unbestreitbaren Glanz besaß; und jeder Tag, den er die Front hielt, war eine ebenso große Leistung wie sein Sieg in Charkow; deshalb trug er nun mehr Stolz und Zufriedenheit in sich denn je. Er wusste, dass er durchhalten konnte bis in den Tod. Er war immer tapfer gewesen; er hatte viele Unannehmlichkeiten ertragen; aber sein jämmerlicher und sehr wahrscheinlich hoffnungsloser Kampf hatte alles von ihm abfallen lassen bis auf die Wahrheit: Er war bereit; er war ein Held; er glaubte ohne Einschränkungen an sich selbst. Wie dankbar er Coca war, dass sie die ganzen Jahre hindurch an ihn geglaubt hatte! Er hatte ihr Vertrauen gebraucht; wenn diese wunderschöne, leidenschaftliche Frau königlichen Geblüts willens war, seine Gefährtin zu sein, bis dass der Tod sie schied, dann ließen sich seine Ablehnung durch die Marine, die klägliche Laufbahn seines Vaters und seine eigene Reserviertheit den Freunden gegenüber mit einem verzeihenden Lächeln betrachten, so wie ein Mann an seine Jugendsünden denkt. Er hatte das große Los gezogen! Und nun war er darüber hinausgewachsen. Er liebte sie mehr denn je, jetzt aber als Ebenbürtiger, einer Frau ebenbürtig, mit der er tief verbunden war, einem Menschen, der seine Fehler hatte und manchmal kindisch sein konnte, so kindisch wie ihre eigenen Kinder; deren Schwächen er sich nun alle eingestehen konnte, ausgleichen helfen konnte und sogar lieben, denn er selbst war nicht mehr schwach. Niemand konnte sagen, er hätte seine Pflicht nicht erfüllt, mochten die russischen Mörser auch ewig weiterfeuern. Er wünschte, er wäre strenger mit Olga und Friedrich gewesen und weniger streng mit Ernst. Nun, das war jetzt alles Schnee von gestern.
    29
    Am 29.1.43 jagte ein Funkspruch nach Berlin:
75 Am 30.1.43 hieß es im täglichen Lagebericht:
76
    In den offiziellen sowjetischen Darstellungen wurde er von der 64. Armee unter General M. S. Schumilow gefangen genommen. Er ergab sich am 31.1.43, dem Tag nach seiner Beförderung zum Feldmarschall durch unseren Führer. (Zu General Pfeffer soll er in einem Akt des Verrats gesagt haben: Wegen dieses böhmischen Gefreiten schieße ich mir keine Kugel durch den Kopf.)
77 Dann zog er sich in einen Privatraum zurück, während seine Untergebenen die Kapitulation aushandelten. Als es so weit war, schritt er die Treppen hinauf, flankiert von einer Reihe grinsender Slawenjungen in weißen Kapuzenjacken.
78 Ein deutscher Augenzeuge schreibt: Trauer und Schmerz hatten sich tief in seinem Gesicht eingegraben. Seine Gesichtsfarbe war aschgrau.
79 Draußen stand die Presse der Alliierten bereit und fotografierte Feldmarschall Friedrich Paulus, wie er in seinem Wintermantel säuberlich durch den Schnee stapfte. Generalmajor Schmidt flüsterte ihm zu: Denken Sie daran, dass Sie ein Generalfeldmarschall der deutschen Wehrmacht sind.
80  – Weit musste er nicht gehen. Man führte ihn zu seinem eigenen Stabswagen, der ihn ins Hauptquartier brachte, worauf der Wagen, ein Mercedes wie der seiner Tochter Olga, im Namen des Volkes beschlagnahmt wurde. Gewehrschüsse knallten so fröhlich wie Sektkorken; sie erschossen seine Hiwis, sobald sie welche fanden. In den Pionierkasernen äscherten sie schon die Verwundeten ein.
    Paulus war nun eine hagere Chiffre, mit grauen Stoppeln, die Mütze tief über die niedergeschlagenen Augen gezogen.
    In einem Bauernhaus fand er sich wieder. Ein warmes Feuer flackerte. Die feindlichen Generäle nahmen ihn mit selbstzufriedener Neugier in Augenschein, während er die Hacken zusammenschlug und sich verbeugte. In der Tür stand ein großer, kahlköpfiger Russe und filmte ihn. Die Jacke des Russen sah schmutzig und ölfleckig aus. Aus irgendeinem Grund störte Paulus das besonders. Aber natürlich waren auch seine eigenen

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