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Eigenheiten tilgen, aber das dauerte natürlich noch.) Ein paar von ihnen, die kräftigen, technisch begabten Arbeiter, die schon auf Gehorsam gepolt waren, schlugen sich als Vorabeiter in den arktischen Baubataillonen recht wacker.
Paulus, mager und müde, wurde Mitglied des antifaschistischen Bundes Deutscher Offiziere. Warum auch nicht? Der Führer hatte bereits erklärt: In diesem Krieg wird niemand mehr Feldmarschall. [ 35 ] – Er blickte auf den Füllfederständer aus Messing auf dem Schreibtisch seines verhörenden Offiziers, versuchte, nicht daran zu denken, was Feldmarschall von Manstein dazu sagen würde, und trat dem Nationalkomitee Freies Deutschland bei. Sie verhielten sich ihm gegenüber korrekt, aus Respekt vor seinem Können. Einige unter ihnen gratulierten ihm sogar zu seinem Sieg über General Timoschenko in Charkow. Er schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich und lächelte hölzern. Sie fassten den ehemaligen Feldmarschall Paulus mit Samthandschuhen an. Er fragte sich, wie er je hatte glauben können, dass jemand die Sowjetunion besiegen könne, wo das Volk doch hinter ihr stand. (Zwei Monate nach seiner Kapitulation war in Stalingrad der Wiederaufbau der Traktorenwerke schon auf einem Stand, dass die Reparatur von Panzern wieder aufgenommen werden konnte.) Bald würde er ein engagierter Marxist-Leninist sein. Er begriff nun, dass nationale Fragen, sofern sie nicht sowieso fadenscheinig waren, den allgemeineren sozialen Fragen unterzuordnen waren.
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Sie führten ihn weiteren Journalisten vor. Der Korrespondent der London Sunday Times , A. Werth, schrieb: Paulus sah bleich und krank aus. Auf seiner linken Gesichtshälfte zeigte sich nervöses Zucken. Er bewies mehr natürliche Würde als die anderen und trug nur eine oder zwei Auszeichnungen.
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In Moskau wurden Stalin und Beria im Verhörraum fotografiert, auf dem Boden lagen Buchara-Teppiche. Sie schenkten ihm eine ganze
Schachtel Zigaretten. Er saß an dem kleinen, am Boden festgeschraubten Tisch in seiner Zelle in der Lubjanka und dachte ernsthaft darüber nach, wie er am besten tun konnte, was sie ihm aufgetragen hatten. Deshalb, und wegen seines Wertes als gefangene Schachfigur, musste er nie sehr viel über die Goldminen von Kolyma erfahren, die Steinbrüche, in denen deutsche Gefangene zu Tode geschunden wurden, die drei Kategorien von Rationen, das Vergnügen, Tannen zu fällen für ein paar Brocken schmutziges Brot. Sie setzten ihn mit zwanzig seiner Generäle in einen Sonderzug, der sie in ein sehr angenehmes Lager in Krasnogorsk trug. Dieser Zug, nun, er war nicht ganz so schön wie der des Führers, der aus geschweißtem Stahl gefertigt war; aber immerhin war er warm. Vorerst ließ man ihm sogar sein silbernes Zigarettenetui. Später verlegte man ihn nach Susdal, dann nach Woikowo ins Lager 48. Ein kluger alter Häftling sagte: Selbst ein jämmerliches Leben ist noch besser als der Tod – aber nie sprach jemand so mit dem letzten Feldmarschall, der sogar noch besser behandelt wurde als ein hochstehender Urka-Krimineller. (Unser Führer versprach, ihn nach dem Krieg vors Kriegsgericht stellen zu lassen, weil er sich nicht erschossen hatte. Unser Führer sagte: Mir persönlich tut am meisten weh, dass ich das noch getan habe, ihn zum Feldmarschall zu befördern. Unser Führer sagte: So viele Menschen müssen sterben, und dann geht ein solcher Mann her und besudelt in letzter Minute noch den Heroismus von so vielen anderen.)
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Wäre er ein anderer gewesen, sie hätten bei einer der Durchsuchungen Cocas Foto zerrissen; und hätte er sich beschwert, hätte ihn eine Wache glucksend am Ohr gezogen und gesagt: Hübsche Frau! Keine Angst. Russen haben sie schon gehabt. – Wie die Dinge standen, durfte er ihr Abbild bis zum Schluss behalten, auch wenn er sie nie wiedersah. Sie berichteten ihm, die Gestapo habe ihr angeboten, sich von ihm scheiden zu lassen und einen neuen Namen anzunehmen; aber sie sei ihm treu geblieben; sie habe sich für das Konzentrationslager entschieden. (Ohne Zweifel hatte man sie auf den anderen Weg hingewiesen, wie er unserem Führer gefallen hätte, der unsere stolzen deutschen Frauen immer bewundert hatte, wenn sie ihre Ehre über ihr Leben stellten. Nun, sie war nur Rumänin.) Die NKWD -Offiziere freuten sich, dass Coca der korrekten Linie gefolgt war. Ob sie noch lebte, konnten sie nicht sagen.
Sie fotografierten ihn beim Handschlag mit einer Ballerina aus Sibi
rien, die in Stalingrad
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