Europe Central

Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann

Vom Netzwerk:

still wie ein russischer Zivilist, während Dankwart, der einst eine slawische Ehefrau gehabt, aber das Richtige getan hatte, von der rohen Kartoffel aufblickte, der er die faulen Stellen ausstach, und mit ehrlicher Verwunderung fragte: Was um Himmels willen geht uns das an?
    Egal, gluckste der Krüppel, da bin ich! Seit wir das Kaufhaus Hermann Tietz arisiert haben, habe ich für Deutschland gekämpft. Und jetzt geht es wieder los!
    Da wusste ich plötzlich wieder, wer er war. – Wie geht es deiner Frau?, fragte ich.
    Er wischte sich die Augen, das fanden wir eklig.
    Ich saß am Feldtelefon; ich hockte da und kurbelte an meiner grauen Kiste. Das Unternehmen Zitadelle war ein Unternehmen Selbstmord, und ich versuchte aufrichtig, ihn zu warnen. Man nehme nur den feind
lichen Frontvorsprung – halb so groß wie England!
9 Als ich vor den Entnazifizierungsausschuss musste, hätten sie mir meine defätistischen Reden anrechnen sollen, aber das ist eine andere Geschichte. Ja, ich habe versucht, Hitlers Wehrmacht zu schwächen – ich gehörte praktisch zum Widerstand! –, denn ich habe dem alten Mann gesagt: Vorsicht vor diesen Wolfsrudeln aus T-34-Panzern!
    Ob du es nun glaubst oder nicht, erwiderte er, ich stehe meinen Mann auf einem Bein so gut wie du auf zweien.
    Was konnte ich dazu sagen? Die T-34 waren das, was ich am meisten fürchtete. Sie kamen bei Tag oder im Dunkel der Nacht, die Scheinwerfer waren immer eingeschaltet. Und was glauben Sie, wie viele Tiger wir in der 9. Panzer hatten? Nicht einen.
10 Wie konnten wir da glauben, die Slawen aufhalten zu können? Um zum Kern der Sache zu kommen, ich hoffte auf etwas Persönlicheres und Realistischeres zugleich: eine mittelschwere Verwundung. Ich war in allen Dingen bescheiden. Ein Soldat, der sich müde in einen engen und schlammigen Schützengraben duckt, das war ich. Wenn ein Soldat in jenen Tagen Urlaub von der Ostfront bekam, erhielt er ein Führerpaket mit Wurst, Butter und Schokolade. Mehr verlangte ich ja nicht. Aber Rüdiger seufzte, von heute an gäbe es vielleicht keinen Urlaub mehr, nie wieder.
    Der Krüppel sagte, und ich hatte schon ganz vergessen, dass er da war: Leugnen hat keinen Zweck. Es gab einen Luftangriff. Das war ihr Ende.
    Gernot rollte sich eine Zigarette aus Blättern. Gernot war alles egal. Gernots Frau war schon verbrannt.
    Der Krüppel sagte: Das waren die Amis, aber ich räche mich gern an den Russen. Außerdem war ich früher mal Sportler. Ich bewege mich gern. Ich glaube an Körperkultur.
    Nun, ich weiß nicht, warum ich mir die Mühe gemacht habe, aber ich habe ihn Feldwebel Gunther vorgeführt, der sagte: Wir brauchen jeden Mann, den wir kriegen können. Er kann Schillings Verpflegung bekommen; die Gefallenenliste ist noch nicht durch. Wenn er dickschädelig genug ist, sich freiwillig zu melden, dann prallen die russischen Geschosse vielleicht an seinem Kopf ab …
    2
    Das Unternehmen Zitadelle begann am 5.7.43 um 04:30 Uhr. Am 19.7.43 fand es seinen Abschluss; da waren siebzigtausend von uns gefallen. Nun, wir hatten von Anfang an gewusst, dass es sinnlos war; wie schon gesagt, wir Frontschweine hatten einfach Befehle zu befolgen und die Verantwortung zu tragen.
11 »Erika« sang niemand mehr. Und die ganze Zeit brannte die Luft vom Geräusch kreischenden Metalls; und nachdem wir an der Olchowatka-Achse gescheitert waren, färbte der Himmel sich hellgrau wie die Dienstfarbe eines-Generals; und als die 9. Armee an der Ponyri-Achse zwei Drittel ihrer Panzer eingebüßt hatte, wurde er so braun wie die Dienstfarbe einer-Wache im Konzentrationslager; und schließlich, als wir an den Achsen Obojan und Kortscha verloren hatten, war er so schwarz wie das Ärmelband eines Wehrmachtspioniers. Es war die Achse Prochorowka, an der wir endgültig geschlagen wurden. Stalingrad war das Ende gewesen, aber Kursk war wirklich das Ende; zwei Jahre nach dem Unternehmen Zitadelle sah ich einen Russen mit seinem deutschen Mädchen in Berlin; sie spielten mit seiner Pistole, feuerten damit auf die Sonne, und er küsste sie und sie küsste ihn, und sie trug eine blutrote Rose im Haar.
    3
    Was uns anging, noch hatte kein Russe unsere Mädchen probiert; noch trugen wir Waffen, und auf Befehl tarnten wir dasunseres Divisionsabzeichens mit einemmit einem Balken darüber. Wir wollten es diesen Slawen ja schließlich nicht zu leicht machen, uns zu identifizieren.
12
    Es heißt, Freissners XXIII . Korps habe zuerst zugeschlagen, aber ich werde immer