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Siebente hätten, ganz und gar nicht, aber wann werden Sie zu Lenin kommen?
Genossen, Sie wissen, wenn ich schreibe, tue ich es aufrichtig! Ich will an Lenin nicht meine, äh, zweitbeste Musik vergeuden. Die Siebente war seiner gewiss nicht würdig. Das war nur eine … Ehrlich gesagt, ich warte auf …
Ja, worauf warten Sie eigentlich?
Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie an Lenin denken, Dimitri Dimitrijewitsch? Ganz spontan.
Nun, da würde ich sagen: Ein Largo in Form einer Passacaglia …
Nun hören Sie schon auf! Worauf warten Sie, Dimitri Dimitrijewitsch? Sie haben doch nichts gegen Lenin, oder?
Zwar hatte seine 9. Sinfonie viele Kritiker enttäuscht, aber sein Klaviertrio Nr. 2 hatte einen Stalinpreis gewonnen! Fast kann ich ihn verrückt vor Freude hin- und herschaukeln sehen, als sie es ihm erzählen, wie ein kleiner Junge auf dem Schaukelpferd oder ein babyjunger Mitja, der Tatjana Gliwenko oder Elena Konstantinowskaja in den roten Sonnenuntergang reitet oder, oder, was auch immer; ganz zu schweigen von D. D. Schostakowitsch, kurz bevor ihn der Ruf des Genossen Stalin in die Staatsloge ereilt! Der Vorhang hebt sich; »Lady Macbeth« beginnt. – Vergessen wir »Lady Macbeth«. Hauptsache, er hielt jetzt mit der Zeit Schritt! Aber seine Unterwäsche würde er nicht auspacken, o nein! Weil immer gerade wenn sie, wie soll ich sagen, wenn du glaubst, sie lieben dich und vergeben dir, dann hört man das Klopfen an der Tür! Und dann würde Nina in tränenlosem Schrecken zusehen, wie sie seine Partituren und Manuskripte auf den Teppich warfen, auf der Suche nach jenem Largo in Form einer Passacaglia, und die Kinder, wissen Sie, ja, genau, meine Kinder. Da fällt mir ein: Ich wollte Galischa immer weißes Puder kaufen, Marke »Moskau«, weil … und ein Kleid aus blauem Crêpe; sie wünscht sich wirklich ein neues Kleid. Das arme Kind – mit einem Vater wie mir zum, zum, verstehen Sie, was ich sagen will? Deshalb ist ein Stalinpreis in unserem großen Sowjetland die höchste Ehre, und ich bin sehr, Sie wissen schon. Es heißt, sein Gesichtsausdruck habe bei diesem Anlass an das eines Kindes erinnert, das aus einem Schützengraben zwischen vorgehaltenen Fingern zu den anfliegenden deutschen Bombern aufblickt. (Damals hatten wir noch nicht genügend Zweiundfünfziger, um sie aufzuhalten.) Und das war kein Wunder! Er litt an chronischem Lampenfieber! Er ging heim zu Nina und murmelte: Ich bin sehr durcheinander, weiß auch nicht genau, warum …
Ja, wirklich, warum denn? In jenen Tagen war die Sowjetmusik, dem Genossen Stalin sei Dank, so ausladend und stabil geworden wie die Panzerketten eines T-34! Wir fühlten uns vorangetrieben vom edlen sowjetischen Ziel, über alle vorherigen kulturellen Stufen hinauszuwachsen, die Kultur zu planen. Es gab nur noch ein paar Abweichler. Und so begann nun unser Propagandaorgan Kultur und Leben einen gewissen D. D. Schostakowitsch anzugreifen. Im Jahr 1948 wurde
er erneut formalistischer und antidemokratischer Tendenzen beschuldigt.
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Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei griff sich ihn und andere als wesensfremd heraus. Jetzt zersägen sie wieder Kisten zu Brennholz. Sofort verlor er seinen Posten im Komponistenverband. Als der Vorsitzende ihn zu sich ins Büro bestellte, um ihn über die erneute Beförderung in Kenntnis zu setzen, bedankte Schostakowitsch sich bei dem Mann und blickte dabei weit in die Ferne. Er musste auf der Stelle seinen Schreibtisch räumen und gehen, damit er die anderen nicht ansteckte. Und so wie mein Herz schlägt, dieses Rucken, geradezu barock, wenn ich das als, als, als Bass wiedergäbe, dann könnte ich es in mein nächstes Opus tun. Nein, Kandinski der Musik nannten sie ihn nun eher nicht mehr! Hatte Elena sich beschmutzt gefühlt, als man sie einbestellt hatte, um sie aus dem Komsomol auszustoßen? Ich habe sie nie danach gefragt, weil … Und als man sie im Gefangenentransporter weggekarrt hatte, wie widerlich war sie sich da vorgekommen? Ich … Es hatte einst ein Plakat von D. D. Schostakowitsch mit Kupferhelm gegeben, als Leiter der Feuerwache auf dem Konservatoriumsdach. In ganz Leningrad hatte das Plakat gehangen! Nina hatte eines aufbewahrt, für die Kinder, wenn sie älter sein würden. Falls er es je fand, er würde sich, nun ja, den Arsch damit abwischen. Damals, 41, war Glikmanns Bruder Gawril der Meinung gewesen, der Helm stehe ihm ganz ausgezeichnet. Er passe gut zum klassischen Schnitt seines
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