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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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glänzen, und die langen weißen Lippen ihrer Vulva Elena so unwiderstehlich erscheinen wie Zuckerwerk, und ihr Anus war ein blasser Stern. In wenigen Augenblicken sollte Elena sich hinknien und ihr Gesicht im Fleisch der Deutschen vergraben; sie wusste es, und Lina wusste es auch. Unmittelbar davor würde Lina sagen: Wir haben fast den gleichen Namen, oder?, und Elena, die ihr Verlangen nach der anderen Frau kaum würde aushalten können, würde rasch nicken, während Lina mit der Rechten ihren Pullover losließ und die Hand langsam ausstreckte, die Finger auf Elenas Haaren ruhen ließ, sie zu einem Knoten verzwirbelte und ihr den Kopf nach unten drückte; nein nein, so würde das überhaupt nicht sein; Elena, die im Komsomol einen Preis beim Fechten gewonnen hatte, würde sich auf Linas Möse stürzen wie ein Hecht auf den Köder; dann würde Lina
Elena über den Kopf streichen und murmeln: Wir sind beide ganz blass, nicht wahr? – Und dann erst würde Lina sich Elenas Haar um die Hand wickeln und ihren Kopf fester an sich ziehen und hauchen: Oh, Süße, aber du bist weiß wie Schnee, und ich bin weiß wie eine Wolke … – und noch bevor sie diese Worte ausgesprochen hätte, würde Elena unter Linas Hitze zu schmelzen beginnen, während Lina in Elenas Mund zu Regen würde. Es sollte noch ein zweites Mal geben und ein drittes (danach würde Elena bereit sein, für Lina zu sterben), ein viertes und fünftes, alles binnen einer langen Weißen Nacht. Gegen Mittag würde Lina sich schlaflos nach Berlin aufmachen und Elena würde nie auch nur ansatzweise begreifen, was ihr geschehen war.
    Wollen Sie den Unterschied zwischen Wera Iwanowna und Lina erfahren? Elena hat beide Male dasselbe getan, dieselbe geschlechtliche Handlung vollzogen. Aber bei Lina konnte sie, weil sie inzwischen reifer und erfahrener war, ganz ähnlich vorgehen wie Karajan, wenn er Schostakowitschs 10. Sinfonie dirigierte: weicher, runder, geschliffen, elegant (besonders bei den Blechbläsern kann man es hören), weniger hart und verzweifelt als André Previn. Besonders der wilde zweite Satz klingt bei ihm satter, ausgeformter, obwohl Karajans Tempo höher ist als Previns. (Persönlich ziehe ich in diesem Fall Previns Schroffheit vor.) Im dritten Satz geht alle Ironie verloren, was, wie ich finde, zu einer bedenklichen Fehlinterpretation von Schostakowitsch führt; aber zum Ausgleich verleiht Karajan der Musik eine bewegende Süße, die Previn fehlt. Verblüffend, wie unterschiedlich die gleichen Noten klingen können.
    (Übrigens, Karajan erhielt seinen Nazi-Parteiausweis im April 1933, keine zwei Monate nachdem der Schlafwandler Reichskanzler geworden war.)
    Als sie Schostakowitschs Geliebte geworden war, will sagen: die Muse seiner Cellosonate in d-Moll, hatte sie es in der Liebe zu noch größerer Weichheit und Vollkommenheit gebracht als mit Lina. Sie hatte etwas an sich – die Achmatowa hatte recht! –, dass man sich bei ihr fühlte, als beträte man eine uralte Kirche. Es war nicht nur, dass sie wusste, wie man ein Vibrato erzeugte und hielt, wie man es handhabte (wie sie Sex später für ihren Gatten Roman Karmen subsumierte); es war etwas an ihr, das ihre Geliebten zum Weinen brachte.
    Aber das Allerseltsamste an ihr war, dass sie sich mit Schlichtheit zu
tarnen vermochte (um nicht verletzt zu werden, wie ich vermute). Hatte sie erst einmal ihre Brille mit den runden Gläsern aufgesetzt und die Haare zu einem Knoten gebunden, blickte auf der Straße kaum noch jemand Elena an. Und in der Schule war sie genauso unscheinbar – ein Zug, der zu ihrer Zeit, an ihrem Ort von hoher Anpassungsfähigkeit zeugte. Ich habe gelesen, dass niemand, der Zeuge wurde, wie sie sich die Haare buchstäblich öffnete, sie je vergessen konnte. 1927, im Jahr des raketengetriebenen Automobils von A. J. Fedorow, brachte ein Mädchen sich ihretwegen um.
9
    In einem Augenblick der Neugier fragte Schostakowitsch sie einmal, ob sie wohl irgendwann aufhören werde, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen, und sie erwiderte ernst und stolz: Ich werde mich nie ändern.
    Und warum sollte sie auch? Wie schon gesagt, warum sollte man Elena nötigen, jemand anders zu sein als Elena? Ich denke, sie hat ihn mehr als alle anderen geliebt, weil sie für ihn perfekt war, so wie sie war. An einem E-Dur kann man nicht herumbessern; man kann es auch nicht durch ein B-Dur ersetzen. Es ist, was es ist. Sie liebte Frauen, und dafür liebte er sie.
    2
    Als man im Jahr 1931 mit der

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