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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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haben sie nichts stehen als minderwertige slawische Truppen.
    Dann war es Zeit, sich von Göring bestätigen zu lassen, dass unsere Raketenflugzeuge bereitstanden.
    Genau betrachtet hätten wir nicht einmal Panzer haben dürfen. Selbst Panzerspähwagen waren uns von den angelsächsischen Plutokraten verboten worden. Aber was war mit Raketen? Die hatten unsere Feinde übersehen. Ich war selbst schon ein glühender Raketenmann, seit dem Rhön-Segelflugwettbewerb von 1933. Wie sonst sollten wir uns den polnischen Korridor zurückholen?
    Wenn wir doch nur zum Mond fliegen könnten!, seufzte Herr Dr. von Braun. – Ich bin ihm einmal begegnet – ein anerkanntes Genie. Er starb in Amerika, lange nach dem Krieg. Das muss man sich vorstellen! Er hat sich an die Sieger verkauft, nur damit ein Mensch zum Mond fliegen konnte.
    Aber zu Zeiten des Schlafwandlers saßen unsere Mondanbeter in Bomben, befeuert von Verpuffungsstrahltriebwerken.
2
    Wahrscheinlich können Sie sich nicht einmal mehr an Ihre erste Rakete erinnern, so wie ich mein erstes Telefon vergessen habe. Die erste Rakete, die ich je gesehen habe, war ein langes graugrünes Monstrum mit einem Mann mit Helm und Schutzbrille im Cockpit, Balkenkreuzen auf beiden Tragflächen, jaulenden Triebwerken und kleinen dicken Bomben, dazu noch einem Paar Maschinengewehre. Sie würden es nicht Rakete nennen; Sie leben in der Zukunft und die Amerikaner stehen kurz vor der Eroberung des Saturns. Diese erste Rakete war im Grunde nichts als ein Kampfflugzeug mit einem Raketentriebwerk, die Bömbchen waren nur Schau. Herr Doktor von Braun arbeitete noch nicht an unseren Vergeltungswaffen, die Russen waren uns noch nicht mit dem Sputnik zuvorgekommen. Aber warum soll man es nicht Rakete nennen? Übrigens war sie mit einem Quintuplikator ausgestattet, um in der Luft fünf verschiedene Arten von Daten aufzeichnen zu können; das kann ich beschwören, denn ich habe den Quintuplikator selbst erfunden! O ja, ich war dabei, von Anfang an; noch vor den Düsentriebwerk-Versuchen von Heinkel-Hirth. Ich wollte ja selbst immer zum Mond fliegen.
    Natürlich war ich auch pragmatisch. Wie Heidegger schreibt: Das Aufschauen durchgeht das Hinauf zum Himmel und verbleibt doch im Unten auf der Erde.
3 Sie sind zu jung; dass die Fliegerei etwas Spirituelles hat, können Sie nicht verstehen, heute gibt es überall Flugzeuge und Raketen; Fliegen ist etwas Abgegriffenes. Als ich klein war, sind wir alle auf die Straße gelaufen, um über unseren Köpfen unsere feuerroten Doppeldecker zu sehen! Glauben Sie mir: Das werden Sie nie verstehen.
    Sie dürfen gerne wissen, dass wir gejubelt haben, als das Raketenflugzeug zu seinem Jungfernflug abhob und auf einer Leiter aus Flammen den Himmel erklomm! Wo flog es hin? Das ist streng geheim, aber wir haben es alle gesehen, jeder, der etwas zählte, sah es über mit Fahnen und Blumen geschmückte Dörfer rasen; aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass es in den Dünen Ostpreußens eine weiche Landung hinlegte. Jetzt müssen Sie vermutlich grinsen, aber damals war das eine Leistung, besonders bei den politischen Einschränkungen, die unsere Gegner uns setzten; Ostpreußen hätte genauso gut der Mond sein können, und wir konnten es doch erreichen! Ich werde das immer für einen Triumph der Menschheit halten.
    Bevor das Jahr 1934 halb vergangen war, hatten wir BMW -Düsentriebwerke in Produktion. (Auf Befehl des Schlafwandlers durften wir darüber natürlich nichts sagen; Sie sind der erste Mensch, dem ich es je erzählt habe.) Ich war dabei, in Uniform! 1937 hatte auch die Firma Junkers begonnen, mit dem Düsenantrieb zu experimentieren; und ich werde nie den Jungfernflug eines gewissen riesigen Stahlgeschosses vergessen, mit Haifischflossen und deutschen Abzeichen – Hakenkreuz am Leitwerk, Balkenkreuze auf Rumpf und Tragflächen –, mein Herz brannte heißer als damals, als ich zum ersten Mal die Sirenen des Stukageschwaders 77 hörte! Wenn eine Rakete oder überhaupt etwas Raketengleiches in den Himmel rast, ist das eine Erfahrung von herrlicher Zwangsläufigkeit. Die Schwerkraft ist besiegt, aufgehoben, einfach so! Und wie leicht es am Ende war! Mit dieser Rakete erheben wir uns alle, unseren Träumen entgegen, Stahl in Bewegung, und tun, was man unser Leben lang für unmöglich erklärt hat! Und da flog sie, schneller und schneller, wuchs empor, stählerne Frucht eines Baumes aus Flammen, lange klammerte die Flamme sich noch an den Boden, dann erhob sie

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