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Konstruktion des ersten sowjetischen Raketengleiters begann, erwog Elena ernsthaft, sich beim Moskauer Luftfahrtinstitut S. Ordschonikidse zu bewerben. Sie hätte alles erreichen können; sie konnte sich gut in ein Kollektiv einfügen. Das muss der Grund für ihren immer wiederkehrenden Traum gewesen sein, in jedem Zimmer stehe ein schwarzes Telefon, das läutete, wenn sie vorüberkam. Sie hob sich den Zeitungsartikel über die 7. Allunions-Gleitflugzeugrallye auf, bei der S. P. Koroljows Gleiter »Roter Stern« seine spektakulären akrobatischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte; im Geiste verliebte sie sich in Koroljow. 1934, als sie ihre Affäre mit Schostakowitsch hatte, stand Roman Karmen jung und stattlich in einer Fliegermontur mit gefüttertem Barett, bis oben hin zugeknöpft, hinter einer schneeweißen Kamera und filmte den Flieger W. S. Molokow, Held der Sowjetunion, ebenso jung und stattlich, aber bis obenhin eingepackt und unter einer dicken runden Pelzmütze, so dass man die beiden nicht wirklich erkennen konnte; Molokow trug eine auf
die Mütze hochgeschobene Fliegerbrille und Karmen nicht; und da, als sie diese Aufnahme von Karmen sah, verliebte Elena sich in ihn. Inzwischen war unsere erste Rakete mit Flüssigantrieb, recht klein noch, von der Abschussrampe abgehoben. Bald würde sie von einer Rakete übertroffen werden, die so groß war wie der Kirchturm der Peter-und-Pauls-Festung! Elena hatte in der Iswestija alles darüber gelesen. Und gerade als sie sich endgültig entschieden hatte, Roman Karmen zu heiraten, erhielt sie eine Karte von Wera Iwanowa, die erst 1937 aus dem Komsomol ausgeschlossen werden sollte, ein Jahr nach Elena, und als Elena die Karte aufklappte, erinnerte sie sich an den Schlamm an Weras Schuhen, als Wera sich nackt auf dem Stuhl vorbeugte und ihr das lange heißgeliebte, leicht fettige Haar über die Augen fiel, Schatten auf ihrem Dekolleté, Schatten zwischen ihren Beinen.
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Elena wäre mit Sicherheit dabei gewesen, hätte durch das Meer aus Fahnen und Wimpeln himmelwärts geblickt, als 1935 die ANT -20 »Maxim Gorki« die Menge überflog, aber da hatten wir sie gerade eingesperrt. Ich kann mich noch an ihre Verhaftung erinnern; ich war dabei, und sie stand vor uns, die Augen halb geschlossen wie die abgedunkelten Scheinwerfer einer Straßenbahn im Krieg; da wusste ich, dies war ihr »intimer Blick«. Dieser Schostakowitsch und Wera und Lina und all die anderen Jungen und Mädchen, die in sie verliebt gewesen waren, sie alle hatten diesen Blick zu sehen bekommen; das machte mich verrückt; da verliebte ich mich auf der Stelle in sie; auch ich wurde eines ihrer Opfer.
Abteilungen von Rotarmisten marschierten an einer Mauer aus Flugzeugen vorüber, deren Propellerflügel alle gerade ausgerichtet worden waren, aber Elena war nicht dabei, sie war bei uns.
Ich wiederhole: Wie sah Elena wirklich aus? Ganz und gar nicht wie ein Engel von Rodtschenko, dem sie ebenso wenig ähnelte wie einem KPIR -3-Segelflieger von 1925: Tragflächen wie abgeschnittene Bananenblätter, der Rumpf ein Skelett aus Dreieckstreben. In ihrem eigenen Interesse gebe ich offen zu, dass ich gewisse Details ihrer Erscheinung für dieses Buch verändert habe. Elena Konstantinowskaja war zum Beispiel blond, und Schostakowitsch, die Hauptfigur dieser Geschichten, hatte
sicher an sie als Blondine gedacht, aber für mich, und mein Wort gilt, wird sie immer die dunkelhaarige Frau sein oder, wenn Ihnen das lieber ist, die Frau mit dem ach so dunklen Haar.
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Im Jahr 1930 wohnte Volkskommissar Woroschilow dem Jungfernflug des TB -5-Bombers bei, aber Elena war noch zu jung. (Ihr Komsomol-Zeugnis für dieses Jahr gibt ihr gute Noten als Scharfschützin und in Erster Hilfe – zwei Fertigkeiten, die ihr in Spanien noch zugutekommen würden.) Wie gern sie dem Start der TB -5 zugesehen hätte! Ganz aus einer Laune heraus schreibe ich sie dazu; ich gebe ihr einen Platz in der ersten Reihe der Arena, die man noch immer gern das Kosmodrom nannte. Darf ich nicht auch meinen Spaß haben? Schließlich hatte der große Flieger W. Tschakalow Flugverbot erhalten, weil er sich einen Streich erlaubt hatte und in Leningrad unter einer Brücke hindurchgeflogen war.
Zum Beweis meiner Verdienste möchte ich anführen, dass ich Elena Konstantinowskaja nie angerührt habe. Ich habe mich ihr nicht einmal vorgestellt, nicht einmal bei ihrer Verhaftung. – Mit Wera Iwanowa ist das eine andere Sache. – Und daher ist es
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