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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Karmens Film »Unser Freund Indien«, den sie gemeinsam im Kinopalast sahen, wollte die Flitterwochen an einem warmen Ort verbringen – an einem Strand am Schwarzen Meer zum Beispiel. Er brach beinahe in Panik aus, und da hatten sie noch nicht einmal … Ich habe gelesen, als Glikmann dem frisch vermählten Paar einen Antrittsbesuch machte, habe allgemeines Schweigen geherrscht, nur die Braut habe stolz erklärt, von Musik verstehe sie nichts. – Und das ist auch viel besser so, Isaak Dawidowitsch, denn ich werde dafür sorgen, dass Mitja sich auf wichtigere Dinge konzentriert. Wissen Sie, was er mir versprochen hat? Er hat eingewilligt, in die Partei einzutreten, wenn der Augenblick gekommen ist! – Schostakowitsch ließ unglücklich den Kopf hängen. Er setzte sich an den Flügel und spielte einen Akkord, der an einen kalten blauen Sonntagmorgen im September in Prag erinnerte. Als sie allen Wodka ausgetrunken hatten, brachte er Glikmann hinaus. – Passen Sie gut auf ihn auf, Isaak Dawidowitsch! – Gute Nacht, und danke für den schönen Abend, Margarita Andrejewna!
    Aus Mitleid hatte der Gast beschlossen, seinem Freund nichts zu sagen, aber als sie im verschneiten Licht der Straßenbahnhaltestelle standen, brach es aus Schostakowitsch heraus: Ach, was für ein Schwein ich bin, und jetzt habe ich mich, habe ich mich, sozusagen, vor dir gründlich blamiert, weil ich, du mochtest sie nicht, das ist mir klar, und wenn ich mit ihr alleine bin, möchte ich nur in einer Ecke hocken und mag nicht einmal mehr komponieren, weil sie, weißt du, sie zieht mich auf; ich glaube, das macht sie absichtlich! Glaubst du nicht auch? Warum habe ich nicht auf dich gehört, lieber Isaak Dawidowitsch? Ich weiß, du hast die Verbindung nicht gutgeheißen. Wahrscheinlich glaubst du, ich habe sie nur geheiratet, um an frisches, sozusagen, an Frischfleisch zu kommen, aber es sind die Nächte, weißt du, nicht dass Nina und ich nach Maxims Geburt noch im selben Bett geschlafen hätten; nun, jedenfalls selten; wir hatten natürlich, wenn du verstehst, was ich sagen will, unsere Momente, du weißt schon, aber meistens hat sie mich in Ruhe gelassen, und das wollte ich so; du hast es ja erlebt, als du uns in Kuibyschew besucht hast, damals, wann war das gleich,
das muss 42 gewesen sein, weil du die Partitur meiner, meiner 7. Sinfonie abholen wolltest, die ja nichts war als ein, ich, ich, Intermezzo. Diese Nächte, wenn … Da könnte ich dir jede Menge traurige Beispiele anführen. Kannst du dich noch an diese Jahre erinnern, Isaak Dawidowitsch? Hätte eine deutsche Granate doch nur – aber wenigstens konnte ich mir meine Musik zusammenträumen, und ich war ihr nie egal.
    Natürlich nicht, sagte Glikmann und legte ihm eine Hand auf den Arm. Nina hat dich geliebt.
    Ja, o ja, das hat sie, mein lieber Isaak Dawidowitsch, während ich die ganze Zeit …
    Glikmann, der ihn so gut kannte, murmelte nachdenklich: Ganz richtig. Im vergangenen Jahr, als Nina gestorben ist, da waren es genau zwanzig Jahre, nicht wahr?
    Schostakowitsch wurde rot. (Das ekelerregende Mitleid im Blick seines Freundes, das würde er auch ins Opus 110 übernehmen, oh ja, und wie!) Dann zeichnete er langsam mit dem Fuß einen Strich in den Schnee und sagte: Nina lebte noch, als, was ich sagen wollte, der Jahrestag war, streng genommen, im Mai. Zwanzig Jahre! Und sie war selbst erst zwanzig. Das ist die magische Zahl. Du hast ganz recht, Isaak Dawidowitsch. Von ihr hörst du wohl nie, nehme ich an. Wenn doch, würdest du es mir erzählen? Dann wiederum, lieber nicht, das wäre ja, du verstehst.
    Wie du willst.
    Ich habe sagen hören, zischte Schostakowitsch ganz leise, dass er im Anzug um sie geworben hat. In Spanien soll er sogar an der Front Anzug getragen haben. Damals sah er ziemlich verwegen aus. Ich glaube, das war der gleiche Anzug, den er trug, als er die Fotos von Dimitrow machte …
    Du besitzt jede Menge Anzüge, Dimitri Dimitrijewitsch.
    Andererseits sagt Lebedinski, sie sehe ein wenig, wie soll ich sagen, bedürftig aus, und wenn ich irgendetwas tun kann … Ich kann mich sogar noch an das Datum im Mai erinnern, und falls ich es je vergesse, habe ich immer noch (das habe ich bei der Evakuierung aus Leningrad mitgenommen) das Programmheft des Musikfestivals, als wir, ich habe mein Klavierkonzert gespielt, als wir uns begegnet sind; sie, sie hat gesagt, meine Musik erinnere sie an die Weißen Nächte …
    Wenn ich das sagen darf, du hättest sie

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